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Totenbeschwörung

Totenbeschwörung

Titel: Totenbeschwörung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Lumley
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Kind, dieses Mädchen? Die Frau, die mich später verraten hat? War es Misha, die seine Liebe verschmäht hatte, damals, als er noch zu echter Liebe fähig gewesen war? Es war zwecklos, sich darüber den Kopf zu zermartern, denn tief im Innern wusste er es bereits. Und er wusste ebenfalls, mit wem sie ihn betrogen hatte.
    Denn Nathan war nun bis zu den Knöcheln im Wasser und riss sich die Kleider vom Leib. Lachend balgte er sich mit ihr im flachen Wasser. Ihre Körper berührten einander, nicht intim, noch nicht, eher so, als seien die beiden Geschwister. Doch Nestor sah, was kommen musste, sollte es auch Jahre dauern, und ihm war klar, dass er zu spät gekommen war.
    Demnach musste es sich bei seinem Erzfeind um diesen Nathan handeln. Sie waren also schon vor einer Ewigkeit Rivalen gewesen, schon in frühesten Kindertagen!
    »Sein Gesicht«, krächzte Nestor, als die Szene vor seinem geistigen Auge verblasste und schließlich verschwand. »Du musst mir zeigen, wie er aussah, als du ihn zum letzten Mal gesehen hast, Jason!«
    Das war in der Nacht des Überfalls, antwortete Jason. Er gab sich geschlagen, denn er wusste, wie schmerzhaft es werden würde und wie sinnlos es war, Nestor etwas vorzumachen. Wir drei hatten meinen Vater auf seiner jährlichen Wanderung zur Sternseite begleitet und waren gerade nach Hause zurückgekehrt. Das war das letzte Mal, dass ich Nathan gesehen habe, und dich auch. Es war das letzte Mal, dass ich überhaupt jemanden aus Siedeldorf sah. Seit dieser Nacht bin ich niemandem mehr begegnet, der noch zur Gänze menschlich war.
    Nestors Geduldsfaden stand kurz davor zu reißen. Er hatte eine klare Frage gestellt und wurde nun mit etwas völlig anderem abgespeist. Anscheinend war dieser Jason genauso, wie Gorvi ihn beschrieben hatte: verdrossen und widerspenstig! Selbst jetzt bereitete er einem nichts als Ärger. Womöglich hatte er auch den Schmerz kaum gespürt und einfach nur laut drauflos geschrien. Doch jetzt wurde es Nestor zu viel.
    »Mir scheint«, knurrte er, »du willst meine Zeit verschwenden.« Damit streckte er abermals die Hände nach dem Leichnam aus, diesmal nach dem schlaff herabbaumelnden, beinahe gewichtslosen Arm. »Ich sage es dir nur noch ein einziges Mal: Zeige mir sein Gesicht!«
    Ja! Ja, ich tue es ja!, stieß Jason voller Angst hervor. Sein Entsetzen war echt, und Nestor zweifelte nicht länger daran, nun endlich die Wahrheit aus ihm herauszubekommen. Doch um auf Nummer sicher zu gehen, zerrte er so lange an dem Arm, bis dieser am Ellenbogen nahezu entzweiging. Hatte Jason tatsächlich noch irgendeine Art von Widerstand geleistet, gab er sie nun endgültig auf.
    Jason Lidesci schrie, schrie wie am Spieß, und seine lautlosen Schreie hallten durch die Nacht. Sie durchdrangen die Ödnis der Findlingsebene, schollen über die Pässe, wurden von den Bergen zurückgeworfen und waren selbst auf der Sonnseite noch zu vernehmen. Die zahllosen Toten in ihren Gräbern und Grüften hörten ihn und wussten, welche Qualen er litt ... und doch fanden sie nicht ein einziges Wort des Trostes für ihn – aus Angst, Nestor könne auf sie aufmerksam werden! Jason schrie, schrie sein Grauen hinaus, als er spürte, wie sein Fleisch aufbrach und ihm die Knochen aus den Gelenken gerissen wurden. Seine Schreie hätten die Toten zu wecken vermocht, nur wagten diese nicht zu erwachen, denn ein Nekromant war über sie gekommen!
    »Sein Gesicht!«, befahl Nestor und verdrehte den Arm ein letztes Mal, ohne seinem Opfer die Chance zu gönnen, die Selbstbeherrschung zurückzugewinnen. Endlich verhallte Jasons Schreien und Schluchzen, und Nestor erhielt, was er wollte.
    Ein Gesicht – es zeigte ihm Nathan, seinen alten Erzfeind – tauchte aus dem roten, pulsierenden Nebel auf, aus dem Schmerz, der Jasons Geist verschlang, und gewann Gestalt, sodass der Nekromant es sehen konnte.
    Er erkannte es auf Anhieb!
    Blond, blauäugig und so blass, wie man sich nur vorstellen konnte, auf eine traurige, scheue Art gut aussehend. Nathan wirkte wie ein Szgany und doch auch wieder nicht. Mit einem Mal erinnerte Nestor sich daran, wie er sich zuweilen geschämt hatte zuzugeben, dass Nathan sein ... sein ... sein ...
    Der Gedanke entschwand. Nestors Geist war wieder leer wie ein unbeschriebenes Blatt. Jason jedoch hatte trotz seiner Qualen alles mitbekommen. Plötzlich wurde ihm einiges klar. Er verstand, wonach der Nekromant suchte, und erkannte nun, welchen Schock ihm die Erkenntnis der Wahrheit bereiten

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