Totenbeschwörung
Lande und in der Luft? Wenn wir erst über eigene Gasbestien verfügen und uns unsere Kreaturen nach unseren Vorstellungen formen? Wenn wir dann doppelt und viermal so viele Leutnants haben wie jetzt? Ha! Sie werden uns in allem nacheifern. Wir werden ihr großes Vorbild sein und ihnen Grund geben, sich für den Krieg zu rüsten!«
»Das wird der Feste gut tun«, nickte Nestor, »und sie um einiges stärken.«
»In der Tat! Doch ich sehe, auch du bist wieder am Erstarken ...« Sie beugte sich über ihn, und Nestor dachte: Das Blut mag zwar das Leben sein. Doch eine gewisse Würze kann auch nicht schaden ...
Sie schliefen lange. Wratha wurde als Erste wach. Nestor lag auf dem Rücken, und sie streichelte ihn, lauschte dem Pochen seines Herzens, seinen Atemzügen und spürte, wie sein gewaltiger Brustkorb sich hob und senkte. Abermals fragte sie sich, ob dies nun Liebe sei.
War so etwas überhaupt möglich – unter Vampiren? Gar unter den Wamphyri? Sie wusste, dass es so etwas schon gegeben hatte. Doch warum sollte es ausgerechnet ihr passieren? Was, wenn ihre Gefühle schon am nächsten Tag wieder verblassten und sich in nichts auflösten? Nun, sei’s drum. Ob Nestor wohl dasselbe für sie empfand? Es war eine Sache, einen Liebhaber zum Teufel zu jagen. Aber selbst verschmäht zu werden ...?
Er stöhnte im Schlaf und wälzte sich unruhig auf die andere Seite. Nicht mehr lange und er würde erwachen. Wratha hatte es sich noch nie gegönnt, so lange in seinen Gedanken auszuharren, bis er wieder zu sich kam. Bisher war sie lediglich in seine Träume eingedrungen, um ihm ihre Visionen einzugeben, Bilder von sich, ihnen beiden, wie sie sich liebten – was nun ja auch wirklich geschehen war. Manchmal hatte sie versucht, einen Blick in seine geheimsten Wünsche und verborgensten Begierden zu erhaschen. Danach hatte sie sich jedes Mal eilends wieder zurückgezogen. Doch nun ...
Was quälte ihn nur so sehr? Sie warf einen prüfenden Blick in sein Bewusstsein, doch zu spät! Er wurde bereits wach.
Alles, was sie mitbekam, war ein einziges Wort, ein Name, an den er sich klammerte wie ein Ertrinkender: Misha.
Eine Frau ...
Wratha fragte sich, ob dies wohl die große Unbekannte sei, Nestors unglückliche Liebe von der Sonnseite. Doch zugleich wusste sie, dass sie sich darüber nicht den Kopf zu zerbrechen brauchte. Denn sie kannte die Antwort bereits!
Gähnend setzte Nestor sich auf. »Wratha?« Er blickte sie an, streckte die Hand nach ihr aus ... Doch mit einem Satz war Wratha aus dem Bett und zog sich ein Kleid über. »Wratha? Ist irgendetwas nicht in Ordnung?«
Er befand sich zwar noch im Halbschlaf, aber es war gut möglich, dass er ihre Augen gesehen hatte.
»Nicht in Ordnung?« Sie rannte beinahe in ihr Ankleidezimmer. »Nein, warum denn? Was sollte denn nicht in Ordnung sein?« Doch ihre Spiegel zeigten der Lady sehr wohl, was nicht in Ordnung war. Sie streifte sich einen geschwungenen Knochenreif über die Stirn, legte ihre türkisfarbenen Ohrringe an und die blauen Glasovale, die für gewöhnlich ihre Schläfen zierten, um die Glut ihres Blickes zu dämpfen und die Tatsache zu verbergen, dass ihr die Augen vor Zorn beinahe aus den Höhlen traten.
Misha!
Sie brauchte volle fünf Minuten, um den Namen aus ihrem Kopf zu verbannen, und weitere fünf, bis das Fieber, das in ihren Adern wütete, sich wieder etwas abgekühlt hatte. Liebe?, fragte sie sich ein weiteres Mal, doch diesen Gedanken behielt sie für sich. Oder war es nicht vielmehr Hass? War der Grat, der das eine vom anderen trennte, denn wirklich so schmal? Sie wusste sehr wohl, wie man diese Trennlinie gemeinhin nannte: Eifersucht!
DREIUNDZWANZIGSTES KAPITEL
Niemand konnte leugnen, dass der Hunde-Lord Canker Canisohn auf seine Art verrückt und nicht minder gestört war als jedes x-beliebige wilde Tier, das dem Einfluss des vollen Mondes erliegt. Doch hatte Nestor seiner vampirischen Geliebten im Bett verraten, dass Canker in mancherlei Hinsicht durchaus vernünftig war und man ihm eine gewisse Klugheit nicht absprechen konnte. So auch jetzt!
Denn wenn es um die Auswahl seiner Verbündeten ging, entbot der Herr der Räudenstatt den Gebrüdern Wran und Spiro Todesblick, seinen nächsten Nachbarn, weder die Zeit noch fand er ein gutes Wort für sie, und auch für Gorvi den Gerissenen, der tief im Fuß der Feste, wo die Sonne niemals hinschien, über die Senkgruben herrschte, hatte er nichts als Verachtung übrig. Doch ob nun normal oder
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