Totenbeschwörung
den Nachthimmel. Gesättigt, für den Augenblick jedenfalls, flogen sie zurück zur Sternseite, zur letzten Felsenburg ...
Vier Stunden später schlugen sie abermals zu, diesmal circa acht Kilometer östlich des Großen Passes am Rande des Waldgürtels und mit einer anderen Taktik. Canker und Wratha ließen Nestor in den Ausläufern des Gebirges zurück und bildeten mit ihren beiden Abteilungen einen Bogen, der sich drei Kilometer weit spannte und ungefähr anderthalb Kilometer in den Wald hineinreichte. Sie saßen ab, ohne dass ihre Bestien den Boden berührten oder die Krieger absprangen, und bewegten sich langsam auf Nestor zu. Die Krieger flogen über dem umstellten Gebiet hin und her, bis es erfüllt war von den betäubenden Ausdünstungen ihrer Stoßdüsen, die den Willen eines jeden Travellers, der in dieser Falle saß, brachen.
Es funktionierte. In dem Maß, in dem sich das Netz, das die Vampire gespannt hatten, zusammenzog, wurden die Szgany nordwärts getrieben und liefen Nestors Trupp direkt in die Arme. Die Ausbeute war geringer als beim ersten Mal, aber dennoch beträchtlich – sechs Männer, vier Frauen und fünf Kinder. Zwei von Rheumatismus geplagte Greise wurden ohne viel Federlesens getötet und den Kriegern überlassen. Auch die vier jüngsten der fünf Kinder brachten sie um, um sie später zu essen. Die übrige Beute wurde in drei gleiche Teile aufgeteilt und zurück in den Felsenturm gebracht. Für diese Nacht ließ Wratha es dabei bewenden. Sie machten Feierabend.
Wieder zu Hause, kamen sie noch einmal in der Wrathspitze zusammen, um den Verlauf und die Ergebnisse ihres Raubzuges zu besprechen. Canker war außer sich vor Freude: »Zehn! Ich kann es kaum fassen! In meinen Bottichen wächst ein Krieger heran. Ich wollte ihn schon töten, weil ich nicht mehr genug Nahrung für ihn hatte; aber nun kann ich ihn durchbringen. Und frische Frauen für meine Welpen! Ein paar von ihnen hatten noch überhaupt keine. Ich hatte sogar damit begonnen, meinen Haushalt zu verkleinern, damit die Küche wieder nachkommt und die Vorräte reichen. Aber jetzt sind meine Speisekammern wieder gefüllt und ich habe sogar noch Knechte übrig. Was für eine Nacht!«
»Wir haben gute Arbeit geleistet«, sagte Wratha und nickte. Sie hatte sich etwas Bequemes angezogen – ein hauchdünnes Kleid, das sich eng um ihren üppigen Körper schmiegte, und leichte Sandalen. Auf der Stirn trug sie einen juwelenbesetzten Reif. Sie war eine Schönheit. Es gab nicht den geringsten Makel an ihr und niemand hätte geglaubt, dass sie bereits über hundert Jahre zählte. Das Blut war nun mal das Leben ...
Im großen Saal der Wrathspitze hatten sie sich um ein prasselndes Feuer versammelt und tranken jeder einen Schluck Wein.
Eigentlich hatten sie allen Grund zum Feiern, doch Nestor machte ein düsteres Gesicht. Irgendetwas beschäftigte ihn, und das war ihm deutlich anzusehen.
»Heraus damit!«, sagte Wratha schließlich.
Erstaunt blickte er auf. »Ist es so offensichtlich?«
»Dass dir eine Laus über die Leber gelaufen ist?«, bellte Canker. »Aber ja doch!«
»Na gut«, gab Nestor nach. »Dann werde ich es euch erklären!« Und zu Wratha gewandt, fuhr er fort: »Nun, meine Lady, du bist nicht die Einzige, die sich Gedanken um unsere Zukunft macht. Auch mir bereitet das, was kommen mag, Kopfzerbrechen. Schön, heute Nacht haben wir endlich wieder einmal Erfolg gehabt – gewissermaßen. Wir haben unsere Stätten mit Blut und Fleisch und kräftigen neuen Knechten gefüllt, das stellt auch niemand in Frage. Aber eine Feste braucht mehr als das! Von Canker weiß ich, dass die Wamphyri von Turgosheim es zu weit getrieben haben. Sie haben ihre Sonnseite zu sehr ausgepresst, bis es dort fast nichts mehr zu holen gab. Ihr hättet euch beinahe selbst den Ast abgesägt, auf dem ihr gesessen habt, indem ihr die Szgany, deren Blut ihr doch zum Leben braucht, so weit dezimiert habt, bis sie kurz vor der Ausrottung standen. Aus diesem Grund seid ihr doch hierher gekommen: weil ihr Platz brauchtet und es euch zu eng wurde in Turgosheim, das euch nichts mehr zu bieten hatte.«
»Im Großen und Ganzen schon«, gab Wratha ihm recht.
»Und trotzdem verhalten wir uns hier und jetzt gar nicht so anders als zuvor!«
»Ha!«, schnaubte Canker. »Die Sonnseite hier im Westen können wir doch gar nicht so sehr ausbluten lassen. Das ist unmöglich! Da draußen gibt es Tausende von Szgany!«
»Das ist sehr wohl möglich«, entgegnete Nestor und
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