Totenbeschwörung
Schmerzen, die sie ihren Opfern bereiteten. Oh ja, sie kannten Lust und Vergnügen und wussten ihre Begierden durchaus zu stillen, ganz gleich, ob sie nun an einer gedeckten Tafel saßen und schlemmten, bis zur Besinnungslosigkeit tranken oder Unzucht trieben. Doch stets geschah dies auf Kosten anderer.
Im Grunde genommen war dies ihr einziges Vergnügen, die einzige Art von Glücklichsein, die sie kannten – das Entsetzen und die Pein ganz gewöhnlicher Menschen. Doch Wratha vermutete, dass Nestor tatsächlich von Glücklichsein sprach, und das versetzte sie in Erstaunen. Also wiederholte sie ihre Frage: »Du bist ... glücklich, Nestor?«
»Ich glaube schon.« Er zog sie an sich. »Ich habe alles, was ein Mann braucht, und um dich wird mich jeder beneiden! Was könnte ich mehr wollen? Es sei denn, es gibt irgendeine Art von Vergnügen, die du mir noch nicht gezeigt hast.«
So, wie er sie hielt, lag sein Kinn auf ihrer Schulter und sie konnte sein Gesicht nicht sehen. Wratha nahm an, dass er es absichtlich verbarg, ebenso wie seine Gefühle und seine wahren Gedanken. Sie war überzeugt davon, dass es etwas gab, wonach er sich sehnte, allerdings etwas, das sie ihm nicht zu geben vermochte. Sie versuchte, seine Gedanken zu lesen, und traf auf eine leere Fläche, was ihr Misstrauen nur bestätigte.
Sie wandte das Gesicht ab, damit er ihre Enttäuschung nicht sah, schob ihn von sich, eilte die Stufen hinab und verschwand in ihrem Ankleidezimmer.
Während sie sich anzog, hörte sie ihn rufen: »Wratha, was ist denn?« Mehr noch, sie spürte, wie er versuchte, in ihren Geist einzudringen, und hastig schirmte sie ihre Gedanken ab.
»Nichts«, rief sie zurück. »Aber die Nacht bricht herein und wir haben noch ein paar Dinge zu erledigen.« Was sie eigentlich meinte, war, dass sie noch etwas zu erledigen hatte, und zwar auf der Sonnseite. Dort gab es jemanden, den sie loswerden musste ...
VIERUNDZWANZIGSTES KAPITEL
Wrathas Anordnungen waren unmissverständlich: Tötet die Frauen! Alle!
Sie sollten nicht vergewaltigt, auch nicht niedergeschlagen und ausgesaugt oder auf sonst eine Art vampirisiert, sondern schlicht und einfach getötet werden. Ohne Ausnahme! Alle Frauen und Mädchen der Szgany Lidesci, selbst kleine Kinder, sofern weiblichen Geschlechts, waren zu töten, wo immer man auf sie traf. Dies galt nicht etwa nur für diesen Raubzug, sondern auch für jeden zukünftigen Überfall.
Denn wenn es keine Frauen mehr gab, sagte Wratha sich wider besseres Wissen (denn der eigentliche Anlass, aus dem sie dieses grausame Vorgehen befahl, war ihr durchaus bewusst), würde es eines Tages auch keine Kinder mehr geben. Und ohne Kinder würden die Szgany Lidesci, die einem nichts als Ärger bereiteten, binnen einer Generation aussterben. Für jemanden, der so langlebig war wie Wratha die Auferstandene und dabei auch noch seine Jugend bewahrte oder zumindest den Anschein davon, war dies wahrlich kein langer Zeitraum. Derart versuchte sie, diesen absolut unsinnigen Befehl vor sich selbst zu rechtfertigen. Unsinnig, denn wenn sie auf der gesamten Sonnseite so verfuhren, würde genau das eintreffen, wovor Nestor gewarnt hatte, und es wäre hier nicht anders als in Turgosheim.
Allerdings bezogen ihre Anordnungen sich lediglich auf das Gebiet der Szgany Lidesci und sie hatte einen einfachen Grund dafür – reine oder vielmehr unreine Eifersucht, vermischt mit einem guten Maß an Rachsucht, denn die Lidescis hatten ihr schon einiges an Verlusten zugefügt. Lady Wratha war eifersüchtig auf eine Vergangenheit, in der sie keine Rolle spielte, und auf das Gefühl der Liebe, das sie noch nicht einmal ansatzweise verstand. So etwas wie Liebe, eine jeder gewöhnlichen Frau zugängliche Erfahrung, hatte sie nicht gekannt, bis sie Nestor traf, und nun fürchtete sie, ihn wieder zu verlieren. Wenn es um ihren Besitz ging, griffen die Wamphyri zum Äußersten; und Lord Nestor von der Saugspitze gehörte nun Wratha der Auferstandenen, auch wenn er möglicherweise nicht so viel für sie empfand wie sie für ihn.
Oh, in der Wrathhöhe würde ihn ihr niemand mehr streitig machen! Das war vorüber, denn Wratha hatte ihn voll und ganz in ihren Bann geschlagen und umgekehrt war sie völlig vernarrt in ihn. Aber was war mit der Sonnseite? Nun, wenn ihre Befehle ausgeführt wurden, brauchte sie sich darüber auch keine Sorgen mehr zu machen. Sie hatte angeordnet, dass, sollte irgendjemand unter den Frauen der Szgany Lidesci eine Misha
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