Totenbeschwörung
vorbereitet, und selbst Nestors gemeine Knechte fassten jetzt Mut. Fauchend und zischend rückten sie langsam näher.
»Hah!«, knurrte Spiro. »Soll das etwa keine Drohung sein?«
»Keineswegs«, entgegnete Nestor. »Ich habe euch hier hereingebeten und ihr seid aus freien Stücken eingetreten. Das wäre ja eine schöne Gastfreundschaft, euch nun zu drohen! Außerdem habe ich es Wran zu verdanken, dass ich jetzt hier bin. Eigentlich müsste ich dafür in seiner Schuld stehen. Allerdings habe ich ihm auf der Sonnseite das Leben gerettet und damit sind wir quitt. Aber während wir reden, steigt die Sonne immer höher, und bald wird sie auf die Wrathspitze herniederbrennen. Ich mache mir lediglich Sorgen um euer Wohlergehen, sonst nichts.«
Wran holte tief Luft, schlug sich auf die Schenkel und brach in ein, wenn auch raues, Gelächter aus. »Der Kerl ist ein Naturtalent!«, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Ein Säugling von der Sonnseite, der innerhalb eines einzigen Morgens zum Mann geworden ist und nun auch noch Herr einer eigenen Festung! Habe ich dir etwa nicht vorausgesagt, dass du in der Saugspitze zurechtkommen würdest?«
»In der Tat, das hast du!« Mit einer Handbewegung wies Nestor in Richtung des Ausgangs und bahnte ihnen damit zugleich einen Weg durch den großen Saal zu dem Treppenaufgang, der zu Wrathas Landebuchten führte. »Ich komme zurecht, keine Sorge. Schließlich gehört die Saugspitze mir, so wie euch die Irrenstatt.«
Die Brüder gingen. Zwar schritten sie gemächlich durch den Saal, aber sie gingen. Hinter ihnen glitten die Wächter der Treppe über die Steinplatten und ließen einen sauren Geruch zurück.
Nestor sandte einen Gedanken an das schwarz bepelzte Fledermauswesen in seiner Nische im Torbogen voraus. Lass die Männer, die gleich kommen werden, vorbei; dann speie sie an, zische und fauche und geh ihnen nach, bis sie oben und aus der Saugspitze hinaus sind! Von dem Zeitpunkt an dürfen sie nie wieder passieren!
Nestors Sklaven und Sklavinnen, seine Offiziere, die meisten seiner Leute – allesamt Vampire – waren nun um ihn versammelt. Sie wussten, dass etwas im Gange war und waren von ihren diversen Arbeitsstätten in den großen Saal geströmt. Nestor stieg auf einen Tisch und drehte sich einmal im Kreis, damit jeder ihn sehen konnte. Augenblicklich verstummte das Gemurmel.
»Seht mich gut an«, sagte er, »und merkt euch ein für alle Mal: Ich bin Lord Nestor, Herr der Saugspitze. Ihr gehört zu mir. Sollte jemand unter euch sein, dem das nicht zusagt, der auf die Nahrung, die ich ihm gebe, den Schutz, den ich ihm angedeihen lasse, und die Annehmlichkeiten, die mein Haus bietet, lieber verzichtet, dann sollte er sich auf der Stelle ein Fenster suchen und springen. Denn auf diese Art werde ich von jetzt an jede Aufsässigkeit unter meinen Knechten bestrafen – mit einem Flug nach unten! Ein letzter, lang gezogener Schrei und ein paar Flecken auf dem Lavageröll werden alles sein, was dann noch übrig bleibt. Das blüht jedem, der mir widersprechen sollte! Wer aber Verrat übt oder sich gegen mich auflehnt ...« Viel sagend blickte er auf seine wandelnden Bettvorleger, die nahezu unmerklich die Stufen zu ihren angestammten Plätzen emporglitten. »Auch die Hüter meiner Treppe haben ihre Bedürfnisse ... Schlicht gesagt: Mein Wort ist Gesetz, und zwar für einen jeden von euch! Wer auch immer es bricht, wird das nicht überleben. So sei es!«
Nestor blickte hinab auf die Gesichter, die dem Tisch am nächsten waren, und sagte: »Canker, Zahar, Grig!« Er streckte die Arme aus und half ihnen hinauf. »Dies ist mein Freund Canker Canisohn, Herr von Räudenstatt.« Er hob die Hand. »Ah, nein, damit sind keinerlei Vorrechte verbunden! Es besagt lediglich, dass ich ihn nicht als Feind betrachte! Ihr werdet ihn respektieren, aber keine Befehle von ihm entgegennehmen.« Canker zuckte die Achseln, verzog das Gesicht zu einem Grinsen und nickte anerkennend.
»Diese beiden« – Nestor blickte nacheinander Zahar und Grig an – »sind meine Stellvertreter. Ihr Wort gilt fast so viel wie meines. Zahar ist Grigs Vorgesetzter und meine rechte Hand. Er wird über mehr Rechte verfügen als bisher und auch härter durchgreifen.«
Nestor ließ sich noch einmal durch den Kopf gehen, was er gesagt hatte, und nickte. Doch ein letzter Befehl, zugleich eine Drohung, schien ihm noch angebracht. »Ich werde mich um euch kümmern, und ihr werdet mich öfter zu Gesicht
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