Totenbeschwörung
bekommen – allerdings immer dann, wenn ihr es am wenigsten erwartet. Und nun scheint mir, dass eure Arbeit darunter leidet, wenn ihr hier herumsteht und Maulaffen feilhaltet. Wenn einer von euch nichts zu tun hat, wird er das Fliegen lernen, und zwar auf der Stelle!«
Die Menge zerstreute sich. Zahar und Grig stiegen vom Tisch herab und sorgten dafür, dass dies zügig vonstatten ging. Nur die beiden Vampirfrauen blieben zurück. Sie untersuchten ihre blauen Flecken und beobachteten Nestor aus dem Augenwinkel. Er sah, dass sie jung und sehr hübsch waren, und sprach sie an: »Vasagis Gemächer waren kalt, doch in den meinen wird es warm sein. In seinem Herd brannte kein Feuer und sein Bett ist hart. Dies alles gehört nun mir. Bringt es in Ordnung und wartet auf mich ...«
Als sie einen Moment später allein waren, hüpfte Canker wie ein Hund auf den Hinterbeinen herum und gluckste: »Hervorragend! Das läuft alles hervorragend! Jetzt mache ich mir keine Sorgen mehr um dich. Den sauertöpfischen Sauger gibt es nicht mehr und mein neuer Nachbar ist ganz nach meinem Geschmack. Ich sehe uns schon wie zwei Welpen auf der Sonnseite herumtollen und hinter den Mädchen herjagen!« Er wurde sofort wieder ernst und flehte Nestor geradezu an: »Aber nun musst du mir einen Gefallen tun und hinunter zu mir in die Räudenstatt kommen und dir mein großes Werk ansehen, das Instrument, das ich aus Knochen baue. Ich werde damit meine silberne Gebieterin vom Himmel herablocken.«
Nestor überlegte einen Augenblick, dann schüttelte er den Kopf. »Später vielleicht, vorausgesetzt, du zeigst mir den Weg nach unten und versprichst mir, die Wächter oder was sie auch sein mögen auf mein Kommen vorzubereiten! Zunächst jedoch muss ich mich in der Saugspitze umsehen! Immerhin ist dies hier nur die erste Etage. Bisher habe ich lediglich den Ostflügel eines einzigen Geschosses in Augenschein genommen, der Nord-, Süd- und Westflügel liegen noch vor mir! Und dann gibt es da noch vier weitere Stockwerke!« Er konnte nur schwer verbergen, wie aufgeregt er war. Das Territorialverhalten der Vampire war sehr ausgeprägt, und Nestor hatte das Erbe eines riesigen Reviers angetreten. Nun brannte er darauf, es kennenzulernen.
»Ja, natürlich!«, erwiderte Canker niedergeschlagen. »Es ist nur ... Es kommt mir vor, als wärst du schon ewig hier und als hätte ich dich schon immer gekannt. Außerdem sagt mir mein Instinkt, dass du begeistert sein wirst von dem, was unsere sogenannten Mit-Fürsten verachten. Es wird großartig sein, einen Gast, dem ich Vertrauen schenke, in der Räudenstatt zu empfangen.«
»Sobald ich wenigstens einen Blick in alle Korridore, Gemächer, Säle und Werkstätten geworfen habe, werde ich dich besuchen kommen«, versprach Nestor. »Ganz gleich, wie spät es wird.«
»Hervorragend!«, freute Canker sich. »Dann erwarte ich dich, noch ehe die Nacht anbricht.«
»Soll ich aus freiem Willen eintreten?«, fragte Nestor kühl. Sein Gesicht blieb ausdruckslos.
Canker blickte ihn an, sah ihm tief in die Augen. Möglicherweise lag bereits jetzt, zu diesem frühen Zeitpunkt, eine Spur von Rot darin. »Ts, ts! Wir sind doch Freunde!«
»So wie Wran sich als mein Freund erwiesen hat?«
»Nein, so wie ich mich als dein Freund erweisen werde!«
»So sei es!«, sagte Nestor.
»Na gut«, erwiderte Canker. »Suchen wir erst mal das unterste deiner Geschosse auf. Dort zeige ich dir den Treppenschacht, der hinab in die Räudenstatt führt. Auf meinem Weg nach Hause werde ich meinen Kreaturen dann die Anweisungen erteilen, die du verlangst.«
Nestor ließ seine Blicke durch den großen Saal schweifen. In einer an dessen Seite gelegenen Küche waren ein paar Knechte zugange. Eine Frau fegte den Boden. Aus den Seitengängen und Korridoren war ein geschäftiges Treiben zu vernehmen. Lord Nestor hatte seine Leute davor gewarnt, untätig zu sein. Offensichtlich nahmen sie die Warnung ernst.
»Zahar!«, rief Nestor, während Canker ihm zu einem aus dem Gestein herausgehauenen Treppenschacht vorausging. »Komm mit! – Ich brauche ihn«, erklärte er Canker. »Wenn du weg bist, soll er mich auf meinem Rundgang durch die Saugspitze begleiten.«
»Gut!«, erwiderte Canker. »Auf diese Weise wird es so aussehen, als hättest du etwas zu tun und würdest nicht ziellos umherstreifen.«
»Ich verfolge ein Ziel damit!«, entgegnete Nestor. »Man wird sehen, dass ich mich um alles kümmere, und wo etwas nicht funktioniert, wird es
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