Totenblüte
Wurden sie einfach auf den Feldern oder in den Gärten im Dorf gepflückt, oder hat der Mörder sie irgendwo gekauft? Wir müssen ganz genau bestimmen, was für Sorten es waren, und dann muss jemand sämtliche Blumenläden in der Gegend abklappern und das überprüfen. Für mich sahen sie ja nicht wie die üblichen Geschenkblumen aus. Ich würde sagen, es waren alles Wildblumen. Wo können sie also gepflückt worden sein? Gibt es hier irgendwo einen Botaniker, der uns unterstützen könnte? An der Universität vielleicht? Können Sie sich darum kümmern, Joe?»
Sie sprach weiter, ohne seine Antwort abzuwarten. «Die wichtigste Frage ist aber die nach dem Warum. Wozu das alles? Erst mal wirkt das doch riskant, wie unnötiger Aufwand. Als wollte der Täter Aufmerksamkeit erregen, großes Theater inszenieren. Julie war den Abend über in Newcastle, keiner wusste so genau, wann sie wiederkommt. Und fast wäre sie ja auch mitten hineingeplatzt. Außerdem war Laura, die jüngere Schwester, die ganze Zeit im Haus. Offenbarhat sie tief und fest geschlafen. Ihre Mutter sagt, man könnte eine Bombe neben ihr hochgehen lassen, wenn sie schläft. Hilft uns das irgendwie weiter?»
Eine Hand hob sich zögernd. Obwohl Vera ja ein reaktionsfreudiges Publikum schätzte, konnte sie bei unerwünschten Unterbrechungen etwa so giftig werden wie ein Kabarettist bei unqualifizierten Zwischenrufen. Diesmal jedoch zeigte sie sich gnädig.
«Ja?»
«Das könnte doch vielleicht heißen, dass der Mörder die Familie kannte. Vielleicht wusste er, dass Laura nur schwer wach zu kriegen ist und dass Julie an dem Abend ausgehen wollte? Das tut sie ja wohl nicht gerade häufig.»
Vera nickte wohlwollend. «Möglich. Oder er hat das Haus schon einige Zeit beobachtet und auf eine Gelegenheit gewartet.»
Noch eine Wortmeldung. «Ja?»
«Kann es nicht auch die Schwester gewesen sein? Vielleicht ein Streit, der außer Kontrolle geraten ist?»
Vera dachte kurz darüber nach. «Man kann sich gut vorstellen, dass sie viel Streit hatten», sagte sie. «Bei so einem Jungen. Es muss ein Albtraum gewesen sein, ihn zum Bruder zu haben, vor allem in dem Alter. Mit vierzehn will man doch eigentlich nur so sein wie alle anderen auch, nicht? Da kann man keinen Spinner in der Familie brauchen. Und natürlich hätte sie ihn ertränken können. Wenn er schon in der Badewanne gesessen hätte, wäre es kein großer Kraftaufwand gewesen, ihn unter Wasser zu drücken. Aber er wurde zuerst erwürgt und anschließend in die Wanne gelegt. Das traue ich einer Vierzehnjährigen dann doch nicht zu. Sie ist klein und schmal. Und ziemlich nervös. Aber ich glaube nicht, dass sie uns irgendwas verheimlicht hat. Woher hätte sie auch die Blumen haben sollen?Die Mutter hat ausgesagt, sie hätten keine Blumen im Haus gehabt. Ich denke, solange keine konkreten Hinweise in die Richtung auftauchen, können wir das Mädchen ausschließen. Einverstanden?»
Es wurde halbherzig genickt, und Vera fuhr fort. «Was den Vater betrifft, sieht die Sache schon anders aus. Es hört sich alles danach an, als wäre er nie besonders gut mit Luke zurechtgekommen. Julie und er haben sich schon vor Jahren getrennt, er hat aber noch Kontakt zur Familie. Keine festen Regeln, er kommt vorbei, wenn ihm gerade danach ist, und die Kinder besuchen ihn auch hin und wieder. Falls er den Jungen umgebracht hat, würde das erklären, warum es keine Anzeichen für einen Einbruch gibt. Julie sagt, Luke hätte ihn immer auf die Palme gebracht. Man kann sich also durchaus eine Situation vorstellen, in der er aus der Haut fährt und den Jungen ermordet, ihn erwürgt.»
«Aber die Blumen erklärt das dann auch nicht», gab Ashworth zu bedenken.
«Das ist wahr. Es sei denn, er war klug genug, zu erkennen, dass der Verdacht als Erstes auf ihn fällt, und hat versucht, uns durch diese aufwendige Inszenierung auf eine falsche Fährte zu locken. Weshalb es nur noch wichtiger ist, mehr über die Blumen in Erfahrung zu bringen. Falls sie alle aus dem Dorf stammen, kann er sie auch nach dem Mord gepflückt haben.»
Ashworth blieb skeptisch. «Dafür müsste er aber schon ziemlich abgebrüht sein. Sich diese Form der Inszenierung ausdenken, die Blumen pflücken, wieder zurück ins Haus kommen. Und irgendwer muss ihn doch auch dabei gesehen haben.»
«Sollte man meinen, nicht? Was hat denn die Haustürbefragung Schönes ergeben? Wurde irgendwer in der Straße gesichtet?»
Vera nahm sich vor, später selbst noch einmal
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