Totenbraut (German Edition)
am Rand des Marktes zusammen und blickten gemeinsam in den Spiegel. Sie erschraken, als sie die geliebte Fürstentochter sahen, die todkrank in ihrem Bett lag. ‚Schnell, lasst uns mit dem Teppich zu ihr fliegen!‘, rief der Mittlere. Und sie sprangen auf den Teppich und flogen über Städte und Flüsse zurück in ihre Heimat. Dort weinten und klagten die Leute, denn soeben war die Fürstentochter gestorben. Da nahm der jüngste der Brüder die Zitrone, schnitt sie auf und hielt sie der Schönen unter die Nase – und siehe da! Sie sprang lebendig von der Totenbahre und war gesund und fröhlich. Der Padischah war so dankbar, dass er gerne einwilligte, seine Tochter einem der Brüder zum Mann zu geben. Aber nun begann der Streit unter den Brüdern. ‚Ohne meinen Spiegel hätten wir gar nicht gesehen, dass sie im Sterben liegt‘, sagte der Älteste. ‚Und ohne meinen Teppich hätten wir ihr nicht zu Hilfe eilen können‘, wandte der Mittlere ein. ‚Aber ohne die Zitrone wäre sie jetzt noch tot‘, gab der Jüngste zu bedenken. Der Padischah dachte lange nach.“
Dušan legte den Eschenzweig zur Seite und sah mich ernst an. „Was meinst du, Jasna? Zu welchem Urteil wird er wohl gekommen sein? Wer hat die Tochter des Padischahs am meisten verdient?“
Hinter Dušans Frage verbarg sich eine ganz andere und ich überlegte gut, bevor ich meine Antwort gab.
„Wäre ich der Padischah , würde ich antworten: ‚Der Jüngste‘“, sagte ich. „Er war der Einzige, den die Rettung seiner Liebsten etwas gekostet hat. Der Ältere und der Mittlere können Spiegel und Teppich noch weiter nutzen, denn diese haben durch den Gebrauch nicht an Wert verloren. Der Jüngste dagegen hat seine Zitrone aufgeschnitten, das war ein wirkliches Opfer für seine Liebe. Aber“, fügte ich mit Nachdruck hinzu, „ich bin kein Padischah , der seine Tochter wie eine Handelsware an den gibt, der am meisten für sie eingesetzt hat. Ich würde die Tochter fragen, welchen der Brüder sie wählen würde. Denn nichts anderes zählt! Und wenn ich ... die Tochter wäre, ich würde immer den nehmen, der mich zum Lachen bringt, den mit den grünen Augen. Oder keinen.“
Ein kleiner flammender Falter zitterte in meiner Brust, als Dušan mich ansah. Seine Liebesschwüre waren keine Aufschneiderei gewesen, das erkannte ich nun. In seinem Blick lag Weichheit, aber auch etwas anderes, etwas Dunkles, das fast wie ein Schmerz war. Die Sehnsucht nach ihm überkam mich so jäh, dass alles in mir danach rief, ihn zu umarmen, die Augen zu schließen und mich von seiner Nähe ganz umfangen zu lassen. Aber dann holten mich mit einem Mal Verlegenheit und Furcht wieder ein. Rasch sprang ich auf, klopfte mir die Asche vom Rock und ging zu dem Strohlager hinüber. Wie jeden Abend löste ich mein Gürtelband, zog den Jelek und den Überrock aus, die Wangen glühend und im Nacken die kribbelnde Frage, ob Dušan mir heute dabei zusah. Ist es wirklich Sünde, mir zu wünschen, dass er mich küsst?, dachte ich.
Ich legte mich mit dem Gesicht zur Wand auf das Lager und lauschte. Nach einer Weile hörte ich, wie Dušan sich auf dem Boden ausstreckte.
„Heute ist es kälter als sonst. Ohne Decke wirst du frieren“, sagte ich.
„Ohne meine Küsse frierst du noch viel mehr!“, kam die spöttische Antwort.
Ich war durcheinander und ruhelos. Ich hatte Danilo verlassen, aber der Bund der Ehe galt noch immer. Allerdings versetzte mich die Erinnerung an meine Hochzeitsnacht weitaus mehr in Furcht als der Gedanke an die Hölle. Ratlos starrte ich an die Holzwand, grübelte und fragte mich, was ich tun sollte. Auch Dušan war auffällig ruhig. Gegenseitig lauschten wir auf unser Atmen. Irgendwann nickte ich vor lauter Erschöpfung und Grübeln ein.
Als ich mitten in der Nacht aufwachte, kam das Fieber von einem zum anderen Moment zurück. Mein Herz hämmerte und meine ganze Haut war in Flammen, doch diesmal war es eine Hitze, die mich nicht versengte. Ich spürte dem Atem nach, den ich an meinem Nacken fühlte. Nie hätte ich gedacht, dass ich ohne Angst so nah neben einem Mann liegen könnte – im Herzen nur die Sehnsucht, ihn zu berühren. Ich horchte, aber ich konnte nicht sagen, ob Dušan wach war oder schlief. Vorsichtig drehte ich mich auf den Rücken. Ich zuckte zurück, als meine Hand die seine streifte. Und dann musste ich lächeln. Manchmal spricht ein Körper deutlicher als ein Mund. Dušan schlief ganz und gar nicht. Er hatte die Hand zur Faust geballt, als
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