Totenbraut (German Edition)
würde ich ihm alles erzählen können? Vom schrecklichen Geheimnis der Türme – und von Nema, die eigentlich Gizem hieß. Gerade über sie machte ich mir seit Tagen Gedanken. Wenn wir am Tisch gebetet hatten, hatte sie stets die Hände gesenkt. Vielleicht, um zu verbergen, dass sie sie nie zum Gebet gefaltet hatte? Was, wenn sie noch ihrem alten Glauben anhing?
„Dušan?“, fragte ich leise. „Was, wenn ich gar nicht ... verheiratet wäre?“
Er hielt inne und runzelte die Stirn. Das Morgenlicht und das Misstrauen ließen ihn härter aussehen. „Was willst du damit sagen?“
„Ich ... will es nur wissen“, sagte ich ausweichend. „Was wäre dann?“
Dušan blickte mich scharf an. „Du verschweigst mir etwas, nicht wahr? Die ganzen Tage schon, seit du hergekommen bist.“
„Du erzählst über dich doch auch nichts“, gab ich unwillig zurück. „Wenn ich mehr über dein Leben erfahren will, erzählst du mir stattdessen Geschichten. Wenn ich dich frage, worauf du lauschst, höre ich Ausreden.“
Dušan seufzte und verzog den Mund zu einem spöttischen Lächeln. „Was, wenn ich es dir verrate und du willst mich danach nicht mehr? Du denkst, ich bin ein netter Kerl, du magst meine Geschichten und ... offenbar auch meine Küsse. Aber in Wirklichkeit bin ich nicht freundlich.“
„Ob du es glaubst oder nicht, aber das ist keine Überraschung!“
Endlich zeigte sich ein lachendes Blitzen in seinen Augen.
Er kam zu mir und nahm mein Gesicht in seine Hände. „Und wenn ich auch noch ein Lügner wäre? Wenn ich eine Frau in Osijek hätte und fünf Kinder?“, raunte er mir zu. „Wenn ich ein Mörder wäre oder ein ehrloser Henker, der den Leuten mit der Axt die Hälse durchhaut? Dann würdest du mich nicht mehr lieben!“
„Wann habe ich denn je behauptet, dich zu lieben?“, rief ich mit gespielter Entrüstung.
Er sah mich einen Augenblick verblüfft an, dann musste auch er lachen.
„Au!“, sagte er und stand auf. „Und dumm bin ich auch: Ich glaubte tatsächlich, in der Nähe deiner scharfen Zunge hätte ich nichts mehr zu befürchten.“
Ich hatte nie geahnt, wie leicht es war, sich in der Liebe zu verlieren. In Dušans Umarmung erschien mir sogar der Gedanke an einen Winter in einer Holzfällerhütte verlockend. Und als ich am nächsten Morgen zur Tür trat und Flocken von Oktoberschnee sich in meinem Haar verfingen, dachte ich nicht zuerst an die verdorbene Ernte und die drohende Überschwemmung, sondern war einfach nur überwältigt von dem unberührten Weiß.
Liebende erblinden auf vielerlei Art oder sie verschließen ihre Augen nur zu gerne. Sie sehen Schönheit, wo keine ist, und überhören jeden misstönenden Ruf. Möglicherweise warnte Bela mich in all den Tagen. Doch ich hörte sie nicht.
Zehn Gräber
I
ch wusste, dass sich etwas Außergewöhnliches ereignet hatte, als Dušan schon eine Stunde, nachdem er morgens fortgeritten war, wieder zurückkehrte. Ich war gerade dabei, den Suppentopf im eisigen Fluss auszuwaschen. Aber als ich Šarac mit seinem Reiter heranstürmen sah, ließ ich den Topf einfach am halb überschwemmten Steg stehen und rannte zur Hütte.
„Warum bist du jetzt schon wieder zurück?“, rief ich Dušan zu.
„Kein guter Tag, um Geschäfte zu machen“, antwortete er, während er vom Pferd sprang.
„Warum nicht?“
Dušan schien zu überlegen, ob er mir antworten sollte.
„Ist etwas im Dorf passiert?“, bedrängte ich ihn. „Sag schon!“
„Die Österreicher sind da“, antwortete er unwillig. „Und der Hadnack lässt gerade die Toten ausgraben.“
Meine Hände waren ohnehin gefühllos vom Eiswasser, nun aber schien die Kälte auch mein ganzes Inneres zu ergreifen. Ich verschränkte die Arme und wappnete mich gegen das, was ich nun hören würde. „Welchen der Toten graben sie aus?“
Dušan hakte den Daumen in den Gürtel und starrte in den Schnee.
„Vuković“, sagte er endlich. „Heute Morgen sind ein paar Männer aufgebrochen, um den Sarg zu holen. Und die anderen, die zuletzt Gestorbenen, sollen auch untersucht werden.“
Für einige Momente musste ich die Augen schließen. Wie schwer die Last war, die ich auf dem Gut getragen hatte, merkte ich erst jetzt, als sie sich wieder auf meine Schultern legte. Ich wünschte mir nichts so sehr, als einfach so zu tun, als gingen mich die Türme nichts mehr an, aber natürlich war das unmöglich. Ich musste zum Popen.
„Ich muss sofort ins Dorf !“, sagte ich und band mir mein Kopftuch
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