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Totenbraut (German Edition)

Totenbraut (German Edition)

Titel: Totenbraut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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Der Priester ließ mit einem erschrockenen Aufschrei Widerrist und Zügel los und das Tier stürmte bockend davon. Während Olja dem Pferd noch verblüfft hinterherschaute, drehte Anđelko sich mit einem triumphierenden Lächeln zu den Dörflern um und deutete auf die Stelle, an der ich vor mehr als einem halben Jahr die goldenen Tulipane gepflückt hatte.
    „Graben!“, befahl er.
    Ich weiß nicht, was mir in der folgenden Stunde durch den Kopf ging. Die Männer schufteten und schwitzten, während sie das lehmige Erdreich aufrissen und grimmig Schaufel für Schaufel aushoben. In dieser Zeit war ich ein Teil der Gruppe. Ebenso angespannt und ratlos verharrte ich frierend an der Grube. Blicke flogen hin und her, Gebete wurden gemurmelt und ich fragte mich die ganze Zeit über mit einem flauen Gefühl, was Jovan und Danilo mir noch verheimlicht hatten.
    „Da ist etwas“, sagte der Totengräber Manko und klopfte mit dem Spaten gegen etwas Hölzernes am Boden der Grube. Atemlos beobachteten wir Umstehenden, wie Manko und der Zimmermann nach und nach eine Kiste freilegten. Sie war schwarz wie Mooreiche, aber längst nicht so hart. Als einer der Männer mit der Schaufel dagegenstieß, brach ein Stück Holz ein. Mit einem Aufschrei wich die Gruppe zurück und wagte sich dann langsam wieder vor. Jetzt sahen wir es alle: Sonne fiel auf eine schneeweiße, zarte Hand mit spitzen Fingern, ein schwarz gewordener Ring steckte am Finger. Nicht verbrannt! , fuhr es mir durch den Kopf. Danilo hat es ihm gesagt. Aber warum?
    „Heiliger Jesus!“, kreischte Olja. Die Männer schrien wie wahnsinnig. Sie warfen die Spaten weg, kletterten aus der Grube und rannten zu den anderen.
    „Was ist los?“, rief Anđelko mit Donnerstimme. „Jetzt ist nicht die Zeit, um feige zu sein!“ Er ging an dem kräftigen Zimmermann vorbei und hob mit einer übertriebenen Geste, die seine Verachtung für Šimes Angst zum Ausdruck brachte, den Spaten auf. Dann lief er unerschrocken auf das Grab zu und sprang zum Entsetzen der Dorfbewohner in die Grube, wo eine Erdstufe ihm genug Halt bot. Mit entschlossenen, kraftvollen Bewegungen hebelte er mit dem Spaten Stück für Stück vom Holz weg. Im Sarg wurde eine zweite Hand sichtbar, ein Kleid, das einst weiß gewesen sein mochte, nun aber ein fahles Schwarz angenommen hatte. Als nur noch das Gesicht verborgen war, schleuderte Anđelko den Spaten fort, packte mit beiden Händen das letzte Stück des Sargdeckels und riss es mit aller Kraft ab. Olja sprang kreischend zur Seite, als das Holz auf sie zusegelte. Dann verstummte auch sie.
    Saniye war eine Schönheit gewesen. War ihr jüngerer Sohn entstellt, hatte die Sonne bei ihr weit weniger Schaden angerichtet. Das Gesicht wirkte wie eine Maske aus Wachs, ihren Zügen hatte die Zeit nichts anhaben können. Stolz sprach aus dem Schwung der Brauen und dem strengen Zug um die Lippen. Das schwarze Haar lag offen, ein angelaufener Anhänger in Form eines Tulipans schmückte ihre Stirn. Neben ihrem Kopf stand eine Lehmfigur in Form eines Kindes. Wöchnerinnen und jungen Müttern, die starben, gab man Figuren ihrer Kinder mit, damit sie getröstet waren und nicht auf den Gedanken kamen, ihre Kinder nachzuholen. Ich war erleichtert, dass es nur eine Figur war.
    Noch heute wundere ich mich, dass ich damals nicht vor Angst schlotterte wie die Dörfler. Mir ging nur Tramners Bericht über den Toten in dem deutschen Bergwerk durch den Kopf. Es musste das Wasser aus der Quelle sein, der lehmige Boden, der auch das Fleisch in den Vorratsschächten nicht verderben ließ.
    Anđelko richtete sich auf und wischte sich über das Gesicht. Die Männer hatten geschwitzt wie die Stiere, doch auf seiner Stirn glänzte kein einziger Schweißtropfen.
    „Die Türkin“, kreischte Olja. „Die Hexe! Sie hat meine Schwester umgebracht! Und die da hat es gewusst und hat geschwiegen! Die ist auch eine von ihnen!“
    Ihr Zeigefinger stach in meine Richtung. Alle Blicke richteten sich auf mich. Fäuste schlossen sich um Weißdornpflöcke. Und Anđelko sagte kein Wort. Er sagte kein Wort!
    „Ich wusste es nicht!“, rief ich. „Wäre ich sonst mit euch auf die Suche gegangen? Olja, du kennst mich doch! Ich bin kein Vampir!“
    „Sie hat das Türkenkraut zur Kirche geschleppt“, ereiferte sich Olja. „Aber Milutin war klug. Er wusste, warum er sie nicht reingelassen hat! Er hat es gesagt: Wenn man leichtsinnig ist, bittet man das Böse herein! Und dafür hat sie ihn

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