Totenbraut (German Edition)
„Bei den Räubern? Das ist einer von der Bande aus der Fruška Gora! Sein Pferd würde ich überall wiedererkennen. Er ist einer von Lazars Männern!“
„Aber ... aber Kosac wurde gefangen und gehängt“, stammelte ich.
„Na und? Lazar war es, der Jovan und mich zu deinem Vaterhaus geführt hat“, spuckte Simeon verächtlich hervor. „Und jetzt holen sich seine Spießgesellen Jovans Sohn als Bezahlung? Oh nein! Das werden sie nicht tun!“
Es geschah so vieles in diesem Augenblick. Verwirrt sah ich Dušan an. Ich erwartete, in seiner Miene Verwunderung zu erkennen, ein Kopfschütteln zu sehen, einen empörten Widerspruch zu hören, aber stattdessen starrte ich in das Gesicht eines Menschen, dem auch die letzte Maske genommen worden war. Er biss sich auf die Unterlippe und senkte den Blick.
Im ersten Moment fühlte ich nur Leere. Die Zeit verwandelte sich in zähen Honig. Das Seltsamste dabei war, dass alles um mich herum weiterwirbelte, sogar noch schneller als zuvor. Die Männerstimmen waren ganz nah, Simeon kam mit großen Schritten auf mich zu und Šarac warf den Kopf hoch und äugte zur Seite, bis das Weiße in seinem Auge sichtbar wurde. Während meine Gedanken sich überschlugen und tausend Fragen aufflackerten, gab es einen anderen Teil in mir, der mir mit vernünftiger Stimme befahl, das Nötige zu tun.
„Los, bring ihn weg!“, flüsterte ich Dušan zu.
Er nickte, ohne zu zögern, drückte Vampir an sich und gab Šarac die Sporen. Simeon riss das Gewehr hoch und zielte auf das davonstürmende Pferd. Im Geiste sah ich es bereits stürzen.
Ich ließ Vetars Zügel los und rannte. Mit voller Wucht prallte ich gegen Simeon und wir fielen beide. Während wir dem Boden entgegenrasten, klammerte ich mich mit aller Kraft an seinem Arm fest. Der Gewehrlauf schnappte nach oben und zielte auf die Wolken. Ein Schuss zerriss die Luft. Mir war, als hätte er mich getroffen, so fühlbar war der Knall, ein Hieb aus Luft und Lärm. Simeon fluchte und schlug nach mir, ich wurde zur Seite geschleudert und kam neben der Klappe auf. Im Gegenlicht der Vormittagssonne sah ich einen Schatten über mir. Ich krümmte mich zusammen, schützte meinen Kopf mit den Armen und presste die Lider fest zu. Und ich hörte den Schlag, doch fühlen konnte ich ihn nicht.
Als ich vorsichtig zwischen meinen Armen hervorlugte, war der Schatten immer noch da: Es war nicht Simeon. Sondern Anđelko, der sich über mich beugte und mir die Hand auf die Schulter legte.
„Geht es dir gut?“, fragte er besorgt.
Ich rappelte mich auf und fand mich inmitten der Männer wieder. Šime, Pandur, Manko und einige andere, etwa ein Dutzend, standen hier versammelt. Manko trug eine Fackel, die anderen hatten Pfähle dabei, Kreuze und Knoblauchketten um den Hals. Ganz hinten drängten sich Olja und eine andere Frau zusammen.
Simeon lag ohnmächtig zu Füßen des grobschlächtigen Zimmermanns, der immer noch den Stock in der Hand hielt, mit dem er den Alten niedergeschlagen hatte. Ich betete, dass er ihn nicht schlimm verletzt hatte.
Šime nahm Simeon das Gewehr ab. „Da kamen wir wohl zur rechten Zeit“, brummte er. „Wollte er dich umbringen, Frau?“
Heftig schüttelte ich den Kopf. „Tut ihm nichts. Er ... ist wahnsinnig vor Trauer und Furcht. Ein Wolf hat unsere Nema getötet und er hält die Trauerwache. Ich habe ihn aufgeschreckt. Es war ein Irrtum!“
Anđelko runzelte die Stirn. Ich sah ihm an, dass er mir kein Wort glaubte, und ich war ihm dankbar, dass er nichts sagte.
Fieberhaft überschlug ich in Gedanken, was ich tun sollte. Mein Pferd hatte vom Schuss erschreckt die Flucht ergriffen, niemand wusste, dass ich nicht mehr auf dem Hof lebte, also musste ich meine Rolle als Hausherrin spielen. Und an das andere, an Lazar Kosac und an Vampir, durfte ich jetzt nicht einmal denken.
„Was ist das für ein Schacht?“, fragte der Totengräber.
„Ein Gebetsraum“, antwortete ich ruhig. Ebenso ruhig hob ich Nemas Schlüsselbund vom Boden auf und hängte ihn an meinen Gürtel, als hätte er sich nur gelöst. „Die Männer ziehen sich oft dorthin zurück“, erklärte ich, während ich mir den Staub vom Rock schlug. „An den Feiertagen verrichtet Danilo dort seine Gebete. Ich war heute hier, um die Ikonen zu begrüßen und zu beten. Simeon muss gehört haben, wie ich wieder heraufkam ... und er ... er lebt seit Tagen in Furcht vor dem Wolf und redet auch wirr. Er dachte wohl, dass jemand um das Haus schleicht.“
Heimlich betete
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