Totenbraut (German Edition)
brannten kleine, scharfe Sichelmonde in meine Handflächen, so fest ballte ich die Hände zu Fäusten. Es war wie in meinen Albträumen, nur viel endgültiger. Ich hatte mich mit Nema gestritten und sie verdächtigt, nie waren wir uns nahegekommen. Trotz allem war sie inmitten der Männer so etwas wie eine Familie für mich gewesen. Und jetzt hatte ich mit ihr auch noch die Hoffnung verloren, dass es mir gelingen könnte, meine Ehe aufzulösen.
Ich hätte aufgeben können in jenen Momenten, alles erschien mir hoffnungslos. Aber ich zwang mich dazu, an das Naheliegende zu denken.
„Wo ist er, Simeon?“
„Unter dem Turm, wo sonst?“
„Du hast ihn da unten allein gelassen?“, rief ich.
„Jemand muss doch die Wache für Nema halten“, erwiderte er. Und bitter fügte er hinzu: „Es fällt dir ja früh ein, dich um ihn zu sorgen.“
Ich schnappte Nemas Schlüssel, rannte zurück zur Kammer und kletterte aus dem Fenster. Dušan hatte die Klappe im Boden aufgestemmt und erwartete mich ungeduldig.
„Wurde auch Zeit!“, zischte er. „Sie sind bereits im Anmarsch. Wenn der Wind zu uns weht, kann man sie hören!“
Es ist ein Wunder, dass wir uns damals vor lauter Eile nicht den Hals auf der Treppe brachen. Der Schacht war dunkel, nur die fadendünnen Lichtstreifen, die den Umriss der Tür nachzeichneten, wiesen uns den Weg. Hektisch versuchte ich den richtigen Schlüssel zu ertasten, während Sivac auf der anderen Seite erwartungsvoll winselte und an der Tür kratzte. Also war wenigstens er bei Vampir! Der dritte Schlüssel passte. „Erschrick nicht!“, flüsterte ich Dušan zu und stieß die Tür auf.
Sivac sprang völlig außer sich vor Wiedersehensfreude an mir hoch, bellte und versuchte mir über das Gesicht zu lecken. Ich hatte alle Mühe, ihn fortzuschieben und zu Vampirs Lager zu gelangen. Er hustete und öffnete die Augen. Obwohl sie von Fieber umwölkt waren, erkannte er mich und verzog den Mund zu etwas, was wohl ein Lächeln war.
Ich lernte an diesem Tag viel über die Furcht, die Medicus Tramner das Übel genannt hatte: Wie die Liebe uns blendet, so nimmt die Furcht uns die Fähigkeit, das zu sehen, was wir wirklich vor uns haben. Als ich Vampir ohne Furcht ansah, fand ich das Ungeheuer in seinen Zügen nicht wieder.
„Wir müssen dich fortbringen“, sagte ich zu dem todkranken Jungen. „Hab keine Angst, es wird dir nichts passieren!“
„Jesus!“, flüsterte Dušan neben mir fassungslos. „Und du fürchtest dich vor Räubern!“
Ich wollte eben den Mund aufmachen und beteuern, erklären, ihn überzeugen, als Dušan mich überraschte. Wenn ich mich je gefragt hatte, ob ich ihn liebe, bekam ich jetzt die Antwort darauf: Er ging einfach auf Vampir zu, sprach beruhigend auf ihn ein und wickelte ihn eilig, aber behutsam in die Decke.
„Schnell !“, rief er mir dann zu. „Geh vor und führe Šarac vor die Luke!“
Es dauerte lange, viel zu lange, bis Dušan endlich an der Treppe erschien. Er trug den Kranken so vorsichtig, dass Vampir in seine fiebrige Bewusstlosigkeit dämmerte, noch bevor er das Tageslicht sah. Ich stützte den Körper, während Dušan aufs Pferd stieg und ihn vor sich auf den Sattel bettete. Dann zog er die Decke über das Gesicht, damit es vor der Sonne geschützt war. Das Letzte, was ich von Vampir sah, war das friedliche Vergessen, das nur eine tiefe Bewusstlosigkeit uns schenkt.
Sivac spitzte die Ohren und fegte plötzlich bellend davon – in Richtung der Anhöhe. Ich rannte zu Vetar und hangelte nach dem Steigbügel, doch mein Pferd war so verstört von Sivac’ Lärm, dass es herumtanzte und mir auswich. Stimmen klangen in der Ferne, etwas klapperte in der Nähe, dann ließ ein barscher Ausruf mich zusammenfahren.
„Was machst du?“
Simeon!
Er stand am Fenster von Nemas Kammer und starrte mich aus roten, übernächtigten Augen an.
„Du schleppst ihn nicht fort!“, zischte er. „Er darf das Gut nicht verlassen!“
„Jasna, schnell!“, mahnte Dušan und sah gehetzt zur Anhöhe.
Simeons Blick schweifte wieder zu Šarac und seinen beiden Reitern. Dann klappte sein Mund vor Verblüffung auf. Noch nie hatte ich einen solchen Ausdruck im Gesicht eines Menschen gesehen. Es war nicht nur Erkennen, es war ein hasserfülltes Verstehen.
„Nicht du!“, rief er Dušan zu und sprang aus dem Fenster. „Du fasst ihn nicht an!“
„Simeon, wir bringen ihn in Sicherheit“, sagte ich. „Anđelko und ...“
„In Sicherheit?“, grollte Simeon.
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