Totenbraut (German Edition)
den Rücken. Türken. In diesem einen Wort schwangen tausend Geschichten mit. Geschichten, die unser Vater erzählte, wenn der Branntweinrausch ihn wieder viele Jahre in die Vergangenheit trug. Geschichten von Krieg und Blut, von Schändung und Leid.
Jovan winkte ab. „Schon seit dreizehn Jahren kein Türkenland mehr“, sagte er mit einem schmalen Lächeln. „Der Friede von Passarowitz hält gut.“
„Passarowitz!“ Aus meines Vaters Mund klang der Name der Stadt wie ein Fluch. „So sagen die Österreicher, ja? Bei uns heißt die Stadt immer noch Požarevac! Und redet nicht zu laut von einem Frieden. Mit den Türken wird es niemals Frieden geben!“
Jelka und ich sahen uns an. Hat er getrunken? , fragte mein Blick.
„Mag sein“, entgegnete Herr Jovan sehr ruhig. „Wer weiß, was die Zukunft bringt. Aber bis jetzt hält dieser Friede gut, sonst stünde ich wohl kaum hier. Zwar leben wir im Grenzland, aber wir sind alle Untertanen des Kaisers, so wie Ihr auch. Unser Land ist Militärgebiet und steht direkt unter Wiener Verwaltung.“
„Im Grenzland“, knurrte Vater voller Verachtung. Er war blass geworden, sein Schnurrbart zitterte. „In Spuckweite der türkischen Hunde lebt Ihr. Eher würde ich mich aufhängen, als auch nur einen Fuß auf den verfluchten Boden zu setzen.“
Herr Jovans Lächeln verschwand. Aber er blieb weiter höflich. „Als wir noch zum türkischen Reich gehörten, bin ich einer Menge Leute begegnet“, meinte er nur. „Osmanen, Beamten und Soldaten. Händlern und Steuereintreibern natürlich, die von jedem, der kein Muslim war, eine hohe Kopf steuer einforderten. Nur sprechende Hunde habe ich keine gesehen.“
„Sieh an, Ihr seid doch nicht etwa ein Türkenfreund, Majstor ?“ Vater spuckte noch einmal auf den Boden, den Jelka am Morgen sorgfältig gefegt und gescheuert hatte. „Und wie nennt Ihr die Türken? Schlächter vielleicht? Erzählt mir nichts, ich habe gegen dieses Pack gekämpft! Mit dem Säbel und meinem nackten Leben. Viele Jahre lang für das Heer des Kaisers in Wien. Und Gott weiß, dass sie mir beinahe die Seele aus dem Leib gerissen hätten. Sie pfählen Leute, die nicht ihres Glaubens sind! Kinder sogar! Ich habe alles gesehen. Sie hängen Christenmenschen am Kinn an Fleischerhaken auf und ...“
Er verschluckte sich und hustete, rang nach Luft und bekreuzigte sich hastig. Majda, Mirjeta und Danica drängten sich hinter der Stiege und tuschelten. Ich gebot ihnen mit einem strengen Wink, ruhig zu sein, und sie verstummten auf der Stelle.
„Braucht Ihr auch einen trockenen Platz für Euer Pferd, Herr?“, beeilte sich Jelka zu sagen, bevor unser Vater wieder zu Atem kam. „Meine Schwester wird es gerne in den Stall bringen.“
Vater holte so schnell aus, dass Jelka gerade noch die Arme hochreißen konnte. Der Schlag war ungelenk und traf ins Leere. Trotzdem zuckte ich zusammen.
„Halt dein Maul!“, herrschte er sie an. „Du gibst hier keine Befehle!“
Jelka senkte den Kopf und schwieg, nur ich sah, wie sie ihre Lippen zusammenkniff.
„Schwing den Stock gegen den Hund, die Tochter aber hau, damit sie den Mund hält“, wandte sich Vater wieder an unseren Gast. Wie oft hatte ich dieses Sprichwort schon gehört, doch jedes Mal wallte der Zorn wieder in mir hoch, sobald unser Vater es zum Besten gab. Herr Jovan deutete nur ein halbherziges Nicken an, erwiderte jedoch nichts.
„Jelka!“ Das war ein Befehl. „Das Pferd!“
Meine Schwester zögerte. Draußen regnete es inzwischen in Strömen, und die Pferde zu versorgen war die Aufgabe von mir, der Jüngeren. Ohne ein weiteres Wort nahm sie schließlich ihr Wolltuch, legte es sich über die Haare und ging hinaus.
„Setzt Euch, Herr, setzt Euch, bitte!“, sagte Vater. „Es soll keiner sagen, im Haus von Hristivoje müssten die Gäste stehen!“ Wie so oft war sein Zorn auch heute ebenso schnell verraucht, wie er gekommen war.
Nach kurzer Zeit dampfte Jovans Mantel neben dem Herd in der Wärme, es roch nach nasser Wolle. Unser Gast saß nur in Hemd und Hosen am Tisch und trank eine Schüssel Suppe aus, während seine ruhelosen Wolfsaugen jeden Winkel der Stube erforschten. Eine Borte mit grünen Stickereien glänzte auf, als er den Arm bewegte, und mir erschien unser Haus plötzlich noch viel erbärmlicher als sonst. Ich schämte mich mehr denn je für meinen Vater, dessen weite, weiße Lodenhosen wie immer verdreckt waren, weil er sich stets achtlos die Hände daran abwischte.
Mit Jovans Augen
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