Totenbraut (German Edition)
Fährboot, das schon lange keine Fracht mehr auf die andere Flussseite gebracht hatte, lag neben einem morschen Steg halb unter Wasser. Mit weichen Knien stieg ich vom Pferd und näherte mich zögernd der einzigen Hütte, die noch eine Tür und ein dichtes Dach hatte. Ich hatte eine seltsame Scheu davor, Dušans Leben so nahezukommen.
„Dušan?“, rief ich zaghaft. Niemand schien hier zu sein, also band ich Vetar an und wagte mich weiter vor. Vertrocknete Blätter kräuselten sich im heißen Sommerwind vor der Schwelle. Die Tür war nicht verschlossen und als ich sie behutsam aufstieß, wurde mir bewusst, dass ich so gut wie nichts über den Mann wusste, der mir seit Wochen Geschichten erzählte und mich zum Lachen brachte. Ich kannte nur seine Lieder über Helden und Schätze. Doch in dieser Hütte lebte jemand, der nichts besaß und nichts zu verlieren hatte. In der Stube befand sich ein Lager aus Stroh, statt eines Tisches war ein Stück Tuch auf dem Boden ausgebreitet. Ein Becher stand darauf und ein leerer Holzteller. Spinnweben hingen von den Deckenbalken. Was, wenn er gar nicht mehr hier war? Oder, sagte mir meine argwöhnische Stimme, wenn er hier nie gelebt hat?
„He, was suchst du denn hier?“
Ein abgerissenes, mageres Männchen stand nicht weit von den Bäumen entfernt und musterte mich misstrauisch und, wie mir schien, auch verächtlich. Sein Bart und seine zottigen Haare waren von einem schmutzigen Rot. Ein Hirte war er wohl nicht, eher ein Heimatloser, der in den Flößerhütten Unterschlupf suchte.
„Den Holzfäller suche ich!“, antwortete ich. „Der muss doch hier leben? Oder gibt es noch andere Flößerhütten?“
Der mürrische Mann stützte sich schwer auf seinen knotigen Wanderstab und spuckte aus. „Sind schon die hier“, knurrte er. „Warum?“
Verlegen strich ich mir die zerzausten Locken unter das Kopftuch. „Wohnt er nun hier oder nicht?“
Der Mann schien gründlich zu überlegen, ob er mir wirklich antworten sollte. Doch zu meiner Erleichterung nickte er schließlich. „Den Dušan meinst du doch, ja? Vor ein paar Tagen war der noch hier. Aber jetzt hab ich ihn schon ’ne Weile nicht mehr gesehen. Ist vielleicht doch schon mit den anderen weg. Wie das mit den Fahrenden so ist: heute hier, morgen dort.“
Ich fühlte, wie ich blass wurde. Aber er würde sich doch wenigstens verabschieden , dachte ich. Doch sicher war ich mir ganz und gar nicht.
Hastig holte ich eine Münze hervor und hielt sie dem Mann hin. „Wenn du ihn doch noch siehst: Richte ihm aus, er soll zu den Türmen kommen.“
Der Rothaarige grinste listig und steckte die Münze ohne zu zögern ein. „Ach, zu den Türmen?“, bemerkte er. „Dann bist du also die Braut vom jungen Vuković?“
Ich gab ihm keine Antwort. Aus zusammengekniffenen Augen beobachtete er mich, während ich mich mit einiger Mühe wieder auf das Pferd zog. Sein anzügliches Grinsen ärgerte mich, aber gleichzeitig war mir sehr wohl bewusst, wie ich auf ihn wirken musste: eine verheiratete Frau, die schamlos und bar jeglicher Würde einem Ledigen nachlief. Und dazu war ich noch mit einem Pferd unterwegs, wie es einer Frau ganz bestimmt nicht zustand.
Fieberhaft überlegte ich. Um keinen Preis wollte ich jetzt zu den Türmen zurückkehren. Und immerhin hatte ich noch Hoffnung, Dušan vielleicht an einem anderen Ort zu finden. Unschlüssig blickte ich zum Waldrand. „He!“, rief ich dem Mann zu. „Wie komme ich zur Witwe Dimić?“
Anicas Heim war bescheiden, nicht viel mehr als eine Kate mit einem Dach, das mit Gras gedeckt und mit Steinen beschwert war. Zwei knochige, schwarze Kühe hoben die Köpfe und äugten zu mir herüber. Hühner scharrten auf dem kleinen staubigen Hof um einen Hackklotz herum. Daneben lag ein Haufen frisch geschlagener Holzscheite. Vielleicht hatte Dušan für Anica das Holz geschlagen. Hinter der Kate erstreckte sich ein kleines Maisfeld.
Kein Hund bellte, als ich auf die Tür zuging. Ich wusste nicht, was ich mir mehr wünschen sollte: dass Dušan hier wäre oder dass er nicht bei Anica Dimić war. Ich hob schon meine Hand, um zu klopfen, als ich im Haus ein Lachen hörte. Es war so nah, dass ich die Hand hastig wieder senkte und zurückwich. Ich hatte mir Anicas Stimme stets als klingend und hell vorgestellt, aber in Wirklichkeit war sie dunkel und ein wenig rau. Verzagt sah ich zum Fenster. Es stand halb offen, deshalb klang ihre Stimme nicht gedämpft. Jetzt murmelte sie etwas, was ich
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