Totenbraut (German Edition)
nicht verstand, und lachte wieder. Ich hätte nun anklopfen müssen, aber stattdessen tat ich das Unvernünftigste: Ich schlich zum Fenster, stellte mich auf die Zehenspitzen und warf einen Blick ins Haus.
Noch heute erstaunt mich, wie viel mir das, was ich insgeheim schon erwartete hatte, ausmachte. Die beiden lagen auf dem Bett im Schatten einer Nische, aber ein staubiger Sonnenstrahl ließ Anicas weißen, nackten Rücken leuchten. Das Haar fiel ihr wie ein schwarzer Wasserfall über die Schultern und über Dušans Oberkörper und Gesicht. Wie ein glühender Falter loderte die Eifersucht jäh in meiner Brust auf. Aber da war noch etwas, was mich ganz und gar erschütterte: Das, was ich hier sah, hatte nichts mit dem zu tun, was meine Mutter über die Vereinigung von Frau und Mann gesagt hatte. Es hatte nichts von Heimlichkeit und dunklen Kammern, von Sünde und Schmerz. Hier war Lachen, hier lag Haut an Haut, und es war ein Gleichklang darin, eine Vertrautheit, die mir die Kehle zuschnürte. Zwei Liebende, die sich umarmten. Das hier war Nevenas Wahrheit.
Benommen wich ich vom Fenster zurück und kauerte mich auf den Hackklotz, an dem noch die Hühnerfedern von der letzten Schlachtung hingen. Tränen rannen an meiner Nase entlang und tropften auf meine geballten Fäuste. An diesem Morgen lernte ich die Eifersucht in ihrer ganzen schneidenden Schärfe kennen. Du hast kein Recht dich zu grämen , redete ich mir ein. Dušan hat dir nichts getan. Er kann küssen, wen er will. Außerdem hast du einen Mann. Aber mein wildes, unvernünftiges Herz sagte etwas ganz anderes.
Ich merkte nicht, wie die Zeit verstrich, während ich im Schatten der Kate mit meinem Schicksal haderte. Nur wenige Momente waren vergangen – so schien es mir –, als die Tür aufging und Anica in die Sonne trat. Sie trug wieder ihre Witwentracht, aber ihr Haar war immer noch offen und fiel ihr bis zur Taille. Um ihren Mund spielte die Andeutung eines Lächelns und verlieh ihrer Schönheit etwas Schneidendes, Klares. Ein schwarzer Hund – eindeutig Sivac’ Bruder – drängte sich an ihr vorbei nach draußen, entdeckte mich und sprang kläffend auf mich zu. Ertappt fuhr ich hoch. Anica sah mich und ihr Lächeln verlosch auf der Stelle.
„Lepa!“, schrie sie und der Hund kam schlitternd zum Stehen und sah sich verdutzt nach ihr um. Gerade wollte ich erklären, dass ich hergekommen war, um mit Dušan zu sprechen, als sie sich schon umwandte und mit rauer Stimme rief: „Jasna ist hier!“
Polternde Schritte erklangen, dann trat Dušan aus der Tür. Nur, dass es gar nicht Dušan war. Sondern Danilo.
In diesen Augenblicken gefrorener Zeit verstand ich so vieles. Als hätte ich bisher einen schwarzen Schleier getragen, der sich plötzlich hob und mir das Gut und seine Bewohner in fast schmerzhaft grellem Licht zeigte. Ich sah die stummen Gesetze dieser Familie, von der ich geglaubt hatte, ein Teil zu sein. Und zum ersten Mal sah ich mich als das, was ich schon lange zu sein ahnte: eine, die außerhalb der Wahrheiten stand, außerhalb des Dorfes und auch außerhalb ihrer neuen Familie. Branka hat es gewusst , dachte ich. Und Stana und die anderen im Dorf. Und Dušan?
Ich kannte Danilo düster und zornig, selten nur lachend. Nun aber erlebte ich ihn zum ersten Mal erschrocken und völlig überrascht. Stumm standen wir uns gegenüber, keiner von uns war fähig, ein Wort zu sagen.
Es war Anica, die schließlich handelte. Sie trat ruhig zu meinem Mann und schob ihren Arm unter seinen. Es lag etwas Besitzergreifendes in dieser Geste. Und im Gegensatz zu Danilo, der nun beschämt zu Boden sah, hielt sie meinem Blick stand. Ihre Augen waren braun, aber neben dem schwarzen Haar wirkten sie hell wie goldener Bernstein.
„Es tut mir leid, dass du es auf diese Art erfahren hast“, sagte sie.
Plötzlich war alles wieder gegenwärtig: meine erste Begegnung mit Danilo, die Hochzeit und all die Nächte, in denen ich fürchtete, dass mein Mann nach mir greifen würde. Und nun das Bild der Liebenden, das mir umso bitterer vor Augen führte, dass ich doppelt betrogen wurde.
„Jasna“, sagte Danilo. „Es tut mir leid. Versteh doch, ich wollte nicht ...“
Meine besonnene Schwester Jelka hätte mich nun sicher ermahnt, vernünftig und klug zu sein und nicht zornig zu werden. So sind die Männer nun mal, hörte ich sie im Geiste sagen. Aber mit meiner Vernunft war es von einer Sekunde zur anderen vorbei.
„Ehebrecher!“, platzte ich heraus. „Feigling!
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