Totenbraut (German Edition)
Blick ging an mir vorbei – weit zurück in die Vergangenheit. In seinen Augen glaubte ich, die Bilder eines Kampfes zu sehen. „Es gelang mir, mich zur Seite zu drehen. Deshalb ging der Schnitt nicht tief genug, um mich verstummen zu lassen. Ich konnte nach Jovan rufen. Und gerade als ich dachte, der Türke würde mich mit dem nächsten Stich töten, stöhnte er auf und fiel zu Boden. Jovan war mir zu Hilfe geeilt und ... er hatte dem Kerl das Messer in die Seite gestoßen, um mich zu retten.“ Simeon schluckte schwer und rieb sich müde die Augen. „Er war jung damals, kaum älter als Danilo heute, und er war ein Hitzkopf, der handelte, bevor er nachdachte. Er sah nur, dass mein Leben in Gefahr war, und setzte alles ein, um mich zu retten. Wenn er nur geahnt hätte, was er damit auf sich zog! Der Beamte starb nicht sofort. Mit seinem letzten Atem verfluchte er Jovan. Manchmal höre ich sein Flüstern noch in meinen Träumen. Er sagte, sein Blut solle seinen Mörder verfolgen. Jovan und die Seinen sollten keine Ruhe finden – nicht im Leben und nicht im Tod.“
Der Fluch eines Ermordeten. Ich ließ Jovans Hand los, sprang auf und wich zurück, bis ich an den Tisch stieß. Hastig bekreuzigte ich mich. „Heiliger Gott im Himmel!“, stieß ich hervor.
„Natürlich mussten wir die Stadt sofort verlassen“, fuhr Simeon fort. „Wir wären beide grausam hingerichtet worden, das Leben eines Beamten galt weitaus mehr als das zweier christlicher Reisender. Wir flüchteten über die Militärgrenze und weiter nach Ungarn. Jovan gelang es schnell, auch dort neue Handelskontakte zu knüpfen. Nur langsam verblasste der Schrecken. Nach eineinhalb Jahren reisten wir zurück in unsere Heimat. In der Nähe von Belgrad lernte Jovan Marja kennen und führte sie heim. Nach den ersten Schwierigkeiten schien sich alles zu fügen. Aber kaum zwei Jahre nach Danilos Geburt ereilte der Fluch die schöne Marja. Ihre Zähne wurden rot wie Blut, ihre Augen sanken in die Höhlen und ihre Hände glichen Krallen. Sobald sie in die Sonne ging, verbrannte ihre Haut. Jovan holte einen ungarischen Arzt, doch auch der wusste nicht, was mit der jungen Frau vorging. Da Tierblut ihre Anfälle von Wut und ihren schrecklichen Durst linderte, empfahl der Arzt, dass sie es zur Kräftigung trinken solle. Doch da wussten wir schon längst, was in Wahrheit geschah: Der Fluch hatte Marja zumVampir gemacht. Sie war nicht mehr sie selbst. Sie hörte auf zu sprechen und verkroch sich im Turm, die arme Seele. Damals kaufte Jovan die ersten Pferde mit arabischem Blut. Es gilt als starkes Heilmittel, nur Marja hat es nicht retten können. Und Jovan selbst lebte in ständiger Angst, wann der Fluch auch bei ihm ausbrechen würde.“ Simeons Stimme sank zu einem traurigen Murmeln herab. „Als Jovan geboren worden war, hatte ich seinem Vater Petar, der mein Wahlbruder war, geschworen, ihn zu beschützen – so wie Jovans Vater Petar und ich einander immer wie Brüder waren, so wollte ich für Petars Sohn ein Freund sein. Und dann war Jovan es, der mein Leben rettete und so teuer dafür bezahlte.“
Ich hätte erleichtert sein müssen, endlich alles zu verstehen, aber seltsamerweise erfüllte die Erkenntnis mich nur mit Trauer. Jovan und Marja – unter welchem Schatten hatten sie gelebt! Nun begriff ich, warum Jovan stets so getan hatte – so tun musste –, als sei Danilo nicht sein Sohn. Er hatte ihn verleugnet, um den Fluch abzuwenden. Und er hatte auf einen Enkel gehofft, der ihm zeigen würde, dass der Fluch ein Ende hatte. Ich hatte Mitleid mit Jovan, ja, aber ich sah auch Marja vor mir. Dušans Worte fielen mir ein: Wenn sie so wütend über ihren eigenen Anblick ist, dass sie gleich den Spiegel zerbricht, muss sie wohl eine wirklich hässliche Visage haben.
Es war ein respektloser Scherz gewesen, aber nun erkannte ich, wie viel traurige Wahrheit darin lag.
„Marja hat unschuldig gebüßt und Schreckliches durchlitten!“, sagte ich. „Kein Wunder, dass sie rachsüchtig ist.“
Simeon seufzte. „Der Teufel nimmt jede Seele, die er bekommt.“
Ich dachte an die Gestalt am Waldrand und fröstelte. „Und ich?“, sagte ich leise. „Habt ihr ... in Kauf genommen, dass der Fluch auch mich ereilen könnte?“
„Nein, denn Danilo ist nicht Jovans leiblicher Sohn“, sagte Simeon so laut und deutlich, als würde eine Lüge allein durch seine Entschlossenheit zur Wahrheit. „Sein Vater ist der Hirte Goran. Und nun ist es ohnehin vorbei, Jasna. Mit
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