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Totenbraut (German Edition)

Totenbraut (German Edition)

Titel: Totenbraut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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beweinen. Ich sah seine Hand, die nun einer blassen Klaue glich, und die Strähne, die vor und zurück schwang. Ganz von selbst fanden meine zitternden Finger einen Stein am Boden und umklammerten ihn, aber es wäre Wahnsinn gewesen, sich mit einem Stein gegen einen Vampir zu wehren, den kein Bann im Grab hielt. Du musst weg hier!, befahl ich mir. Bring dich in Sicherheit, bevor er dich sieht!
    Ich fühlte meine Beine kaum, als ich unendlich vorsichtig aufstand. Eine Brise bewegte die Sträucher und ließ sie rauschen. Der Rock wehte gegen meine Kniekehlen. Jovan hob ruckartig den Kopf und zog scharf die Luft ein. Er hatte den Knoblauch bemerkt!
    Er blickte über die Schulter und sah mich direkt an.
    Es war, als würde mit meinem Herzen auch die Zeit stillstehen. Ich starrte in das eisige Gesicht des Todes, die Fratze, die mich in den Träumen verfolgte. Ich erkannte den aufklaffenden Mund, die aufgerissenen Totenaugen. Die Klauen schlugen durch die Luft, als der Vampir aufsprang und zu mir herumwirbelte – ein seltsam torkelnder Schatten, der so wirkte, als hätte er Schwierigkeiten, die Gliedmaßen zu beherrschen. Oder als hätte er lange still dagelegen und müsste sich erst wieder daran gewöhnen, aufrecht zu gehen .
    Ich spürte ein raues Kitzeln in der Kehle, aber ich hörte mich nicht schreien. In meinen Ohren gellte nur der schrille Schrei des Toten, der abrupt abbrach. Die Muskeln in meinem Arm schmerzten, als hätte ich sie mir gezerrt, und meine Hand war plötzlich leer. Ohne nachzudenken, hatte ich den Stein nach dem Vampir geschleudert – und offenbar gut getroffen. Das Ungeheuer taumelte zurück und hielt sich den Arm. Es krümmte sich vor Schmerz und stieß ein Heulen aus, das noch schrecklicher war als das Wimmern. Ich dachte, es würde sich nun auf mich stürzen, aber stattdessen starrte es mich mit großen Augen an und fiel stöhnend auf die Knie. Jetzt sah ich, dass die Gestalt viel magerer als Jovan war. Das Gesicht war deutlich schmaler, die Nase seltsam kurz, wie verstümmelt.
    „Die Hexe!“, schluchzte die Gestalt und schlug das Kreuzzeichen. „Heilige Maria! Die Hexe! Heilige Maria, hilf !“
    Vampire weinen doch nicht, dachte ich verwirrt. Sie haben keine Gefühle. Und sie beten auch nicht.
    Aber das Wesen wiederholte die Worte wie eine atemlose, gehetzte Beschwörung, wieder und immer wieder, bis ich nach vielen endlosen Sekunden begriff, dass dieses Ungeheuer sich tatsächlich fürch tete.
    „Wer ist die Hexe?“, brachte ich mühsam heraus.
    Der Mann stieß einen Angstlaut aus und kroch ein Stück zurück. „Du!“, stieß er hervor. „Du willst mein Herz fressen. Heilige Maria, beschütze mich!“
    Immer noch rauschte das Blut in meinen Ohren, immer noch wollten meine Beine weglaufen, aber mein Verstand befahl mir, stehen zu bleiben. Es ist nicht Marja. Es ist nie Marja gewesen. Die Stimme des Monsters klang menschlich – jung und hoch vor Angst. Er sprach undeutlich und bemüht, was vielleicht daran lag, dass seine Lippen ebenso verstümmelt waren wie die Nase.
    „Ich bin keine Hexe!“, sagte ich so behutsam, als würde ich zu einem scheuen Tier sprechen. „Wer behauptet so etwas?“
    Ich hörte sein hastiges, mühsames Atmen. „Nema“, flüsterte er und hustete dumpf. „Sie sagt, ich muss mich von dir fernhalten. Ich darf mich nie zeigen, aber du verfolgst mich längst! Du ... hast Knoblauch. Und du hast mir den Bannspiegel hingelegt. Du willst mich vernichten! Uns alle willst du töten!“
    Obwohl es dunkel war, erschien mir so vieles plötzlich in gleißendes Licht getaucht: der Spiegel, die Fratze am Fenster, die Gestalt, die den Stein gegen mein Fenster geworfen hatte. Wie sehr musste er sich vor mir fürchten, wenn er sogar Abwehrzauber gegen eine Hexe versuchte: die tote Taube, der Weißdorn – und die Fledermaus. Er musste das Messer vom Grab geholt haben. Vermutlich hatte Nema einfach nur versucht, das Zeichen zu entfernen, bevor ich es entdeckte. Wieder hustete er dumpf und rang nach Luft.
    „Ich werde dir nichts tun“, sagte ich beruhigend. Wind ließ die Sträucher rascheln, strich über meine Haut und wehte mir die Locken über die Wangen. Der Mann schlug erschrocken beide Hände vor das Gesicht, taumelte zurück und gab ein qualvolles Würgen von sich. Es musste der Knoblauchgeruch sein. Ein schrecklicher Verdacht schnürte mir die Kehle zu. Nema hatte nicht gelogen, als sie mir damals im Stall bedeutete, dass ein Mann mit einer weißen Strähne das Blut

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