Totenbraut (German Edition)
Luft gerungen und Blut gespuckt, als würde ein Unsichtbarer es ihm aus dem Körper pressen. Er hat geschworen, jemand hätte ihn während des Hagelsturms heimgesucht und gewürgt. Er glaubt, dass es Jovan war.“
„Aber der liegt im Grab“, flüsterte ich und dachte gleichzeitig mit einem Schaudern: Und wenn es Nema ist?
Anica sah nachdenklich zum Fenster. „Hoffen wir es. Branka hat mich jedenfalls gebeten, dir etwas auszurichten: Du sollst am Samstag kochendes Bachwasser über das Grab schütten, das wird Jovan vernichten, falls er ein Wiedergänger ist. Im Dorf haben sie Pechkreuze an die Türen gemalt, das solltest du auch tun. Und ich ... bitte dich auch um etwas, Jasna. Ich möchte, dass du Danio warnst. Er soll sich vor den Leuten im Dorf hüten. Am besten, er lässt sich dort nicht mehr blicken. Sie sind wie Wölfe, wenn es um die Gemeinschaft geht – oder um das, was sie dafür halten. Verschließt die Türen gut, ja?“
Ich nickte und Anica lächelte mir dankbar zu. „Gut“, sagte sie und nahm den Korb an sich. „Es ist schon spät. Ich muss gehen.“
„Warte!“, rief ich und sprang vom Stuhl auf. „Ich begleite dich ein Stück.“
Ich wünschte, ich könnte sagen, dass ich nur aus Freundlichkeit mit ihr über die Weide ging, aber die Wahrheit ist, dass ich am liebsten fortgelaufen wäre. Der Himmel hatte bereits das dunklere Blau der Dämmerung angenommen und den Waldrand in ein schwarzes, gezacktes Band verwandelt. Der Abendwind war kalt und trug einen eisigen Hauch mit sich. Ich warf Anica einen verstohlenen Seitenblick zu und sah, dass sie in ihren durchnässten Kleidern zitterte. Schweigend zog ich mir mein trockenes Wolltuch von den Schultern und hielt es ihr hin. Sie zögerte, aber dann nahm sie es an. Ich blieb am Waldrand zurück und sah ihr nach, bis sie mit den Schatten der Bäume verschmolzen war. Ich dachte an die Wölfe und daran, dass sie in ihrer Kate weitab vom Dorf und einsam wie ein Geist lebte, und hatte einfach nur Angst um sie.
Ich war froh, Sivac an meiner Seite zu haben, als ich zurückkehrte. Jeder Schritt in Richtung der Türme fiel mir schwer. Ich sollte am besten schon heute das kochende Wasser über das Grab schütten , dachte ich. Mitten auf der Weide blieb mein Hund stehen und stellte die Ohren auf. Er bellte einmal und lauschte wieder. Ich versuchte zu erkennen, was er da bemerkt hatte, aber mir fiel nichts auf. Dann schoss er plötzlich davon, fegte über die Weide und durch das Tor, wo er aus meinem Blickfeld verschwand. Ich wollte ihn schon zurückrufen, als er mit einem Mal schrill aufjaulte. Dann war Stille. Ich begann zu rennen. Kalter Schlamm spritzte auf meine geballten Fäuste, während ich dem Tor entgegen stürzte. Der Stock zum Ziegentreiben lehnte an der Mauer und ich schnappte ihn mir und rannte auf den Hof. Sivac humpelte mir winselnd entgegen, als hätte ihm jemand einen Tritt versetzt. Und mitten auf dem Hof stand Nema.
„Was machst du da?“, fuhr ich sie an. „Warum trittst du den Hund?“ Nemas Gesicht hatte den Ausdruck eines Raubtiers, das in die Enge getrieben worden war. Ein heißer Schreck fuhr mir durch die Brust, als ich ihre Hände sah: Sie waren blutbefleckt. Nema nutzte mein Zögern und wirbelte herum. Ein Klumpen fiel ihr aus der Hand, doch sie hob ihn nicht auf, sondern ergriff die Flucht. Ich stürmte hinter ihr her, aber wieder einmal kam ich zu spät. Die Tür brach mir fast die Hand. Sie schlug so fest zu, als hätte die Alte sich mit ihrem ganzen Gewicht dagegengeworfen, um mich fernzuhalten. Wütend hämmerte ich mit dem Stock gegen das verwitterte Holz.
„Ich kriege dich!“, schrie ich. „Du weißt, was hier vorgeht, nicht wahr? Hast du Jovan gesehen, Nema? Oder warst du selbst im Dorf?“
Ihre Antwort war das Schaben eines Riegels. Als ich den Schlüssel hervorholte und ins Schloss schob, spürte ich, dass etwas im Schlüsselloch stak. Ich fluchte und wandte mich um. Wenige Schritte von mir entfernt beschnupperte Sivac das Ding, das Nema aus der Hand gefallen war. Ich trat näher und beugte mich hinunter. Eine tote Fledermaus. Durchbohrt von Dušans Messer, das ich heute Morgen am Grab zurückgelassen hatte. Es war ein magisches Zeichen, mit dem man eine Hexe abwehrte. Oder die Drohung, jemanden zu vernichten.
Lange hatte ich nicht mehr das Gefühl gehabt, beobachtet zu werden, doch nun spürte ich ganz deutlich, dass der Schwarze Turm lauernd auf mich herabsah. Ich musste würgen, als ich den
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