Totenbuch
er sich dann
an Scarpetta. »Und den Rest auch?«
»Nichts weist darauf hin, dass
er mit den Augen der Frau in Bari dasselbe gemacht hat wie bei Drew Martin«,
stellt Scarpetta sofort fest. »Ich lese gerade den Autopsiebericht auf
Italienisch und bemühe mich, so viel wie möglich davon zu verstehen. Allerdings
frage ich mich, warum besagter Autopsiebericht der Akte dieses Patienten
beiliegt. Wie ich annehme, handelt es sich um den Sandman?«
»So nennt er sich wenigstens«,
erwidert Dr. Maroni. »Jedenfalls in seinen E-Mails an Dr. Seif. Haben Sie sie
übrigens schon gesehen?«
»Bin gerade dabei.«
»Warum befindet sich der
Autopsiebericht in der Akte Ihres Patienten mit dem Namen Sandman?« Benton
lässt nicht locker.
»Weil ich Bedenken, aber keine
Beweise hatte.«
»Tod durch Ersticken?«, ist
Scarpettas Stimme zu hören. »Festgestellt anhand der Petechien und in
Ermangelung weiterer Befunde.«
»Hätte sie auch ertrunken sein
können?«, fragt Dr. Maroni. Die Unterlagen, die Benton an ihn weitergeleitet
hat, liegen ausgedruckt auf seinem Schoß. »Und Drew womöglich ebenfalls?«
»Nein, bei Drew kommt das
absolut nicht in Frage. Sie wurde ganz sicher mit einem wie auch immer
gearteten Riemen erdrosselt.«
»Ich hatte diese Vermutung nur,
weil in Drews Fall eine Wanne beteiligt war«, erwidert Dr. Maroni. »Und weil
auf dem jüngsten Foto eine Frau in einer Kupferwanne sitzt. Vielleicht war ich
ja auch ein wenig vorschnell.«
»Was Drew angeht, irren Sie sich
tatsächlich. Doch dass die Opfer vor ihrem Tod in einer Wanne saßen, trifft zu.
Wenn keine anderen Beweise dagegen sprächen, käme deshalb auch Ertrinken in
Frage. Aber ich kann Ihnen mit Gewissheit sagen, dass Drew nicht ertrunken
ist«, wiederholt Scarpetta. »Das muss jedoch nicht zwangsläufig für das Opfer
in Bari gelten. Und was aus der Frau in der Kupferwanne geworden ist, wissen
wir nicht. Vielleicht lebt sie ja noch, obwohl ich das leider nicht glaube.«
»Sie sieht aus, als stünde sie
unter Drogen«, meint Benton.
»Ich habe den starken Verdacht,
dass sich das bei allen drei Frauen so verhält«, erwidert Scarpetta. »Die Tote
in Bari hatte dreimal mehr Promille Alkohol im Blut, als zum Führen eines
Kraftfahrzeugs erlaubt ist. Bei Drew war es die zweifache Menge.«
»Er hat seine Opfer mit Alkohol betäubt,
um ihren Widerstand zu brechen«, stellt Benton fest. »Gibt es wirklich keine
Hinweise darauf, dass die Ermordete in Bari ertränkt wurde? Steht nichts
dergleichen im Bericht? Was ist mit Diatomeen?«
»Diatomeen?«, erkundigt sich Dr.
Maroni.
»Mikroskopisch kleine Algen«,
erklärt Scarpetta. »Doch die muss man in einer gesonderten Untersuchung
nachweisen, was niemand tut, wenn kein Verdacht auf Tod durch Ertrinken
besteht.«
»Warum denn auch? Schließlich
wurde sie am Straßenrand gefunden«, wendet Dr. Maroni ein.
»Und zweitens«, ergänzt
Scarpetta, »sind Diatomeen überall. Sie kommen im Wasser und in der Luft vor.
Nur eine Untersuchung des Knochenmarks oder der inneren Organe könnte genaueren
Aufschluss geben. Außerdem haben Sie ganz recht, Dr. Maroni. Warum hätte man
das tun sollen? Was die Tote in Bari angeht, habe ich den Verdacht, dass sie
ihrem Mörder zufällig über den Weg lief. Möglicherweise hat der Sandman - von
nun an möchte ich ihn so nennen ...«
»Wir wissen nicht, ob er sich
selbst damals so genannt hat«, fällt Dr. Maroni ihr ins Wort. »Mein Patient hat
diesen Namen zumindest nie erwähnt.«
»Der Klarheit halber heißt er ab
jetzt bei mir trotzdem Sandman«, gibt Dr. Scarpetta zurück. »Er könnte sich in
Bars, Diskotheken und an bei Touristen beliebten Orten nach einem passenden
Opfer umgesehen haben. Die Touristin hatte einfach das Pech, ihm zu begegnen.
Der Mord an Drew Martin hingegen scheint mir vorsätzlich gewesen zu sein.«
»Das können wir nicht mit
Bestimmtheit sagen.« Dr. Maroni zieht an seiner Pfeife.
»Ich glaube schon«, entgegnet
sie. »Schließlich hat er Drew Martin schon im letzten Herbst in seinen E-Mails
an Dr. Seif erwähnt.«
»Angenommen, dass er der Täter
ist...«
»Er hat Dr. Seif ein Foto von
Drew in der Wanne geschickt, das nur wenige Stunden vor ihrer Ermordung
aufgenommen wurde«, erwidert Scarpetta. »Nach den Gesetzen der Logik ist er
also der Mörder.«
»Bitte erzählen Sie mir mehr
über die Augen des Opfers«, fordert Dr. Maroni Scarpetta auf.
»Diesem Bericht zufolge hat der
Täter der Kanadierin nicht die Augen entfernt. Drews Augen
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