Totenbuch
durch und zieht
eine heraus.
»Hier sind die Einzelheiten der
Beerdigung, Kopien der Rechnungen und so weiter, die ich Ihnen aus
Datenschutzgründen nicht zeigen darf. Doch die Zeitungsausschnitte können Sie
sich ansehen.« Er reicht sie ihr. »Ich bewahre sie immer auf, wenn die
Beerdigung in meinem Hause abgewickelt wurde. Wie Sie bestimmt wissen, befinden
sich die offiziellen Unterlagen bei der Polizei, beim mit dem Fall beauftragten
Gerichtsmediziner und bei dem Leichenbeschauer, der den Fall damals hierher zur
Autopsie verwiesen hat, da es in Beaufort County kein Gerichtsmedizinisches
Institut gibt. Doch das ist Ihnen ja sicher bekannt, denn inzwischen leitet er
die Fälle ja an Sie weiter. Als Holly starb, waren Sie noch nicht im Gespräch.
Ansonsten wäre diese traurige Angelegenheit sicher auf Ihrem Tisch und nicht
bei mir gelandet.«
Sie kann keine Spur von
Ablehnung entdecken. Offenbar empfindet er sie wirklich nicht als Konkurrenz.
»Das Mädchen starb auf Hilton
Head. Eine sehr wohlhabende Familie«, fährt er fort.
Scarpetta schlägt die Mappe auf.
Sie enthält einige Zeitungsausschnitte. Der ausführlichste Bericht ist dem Hilton Head Island
Packet entnommen.
Dem Artikel zufolge hat Holly Webster am späten Vormittag des 10. Juli 2006 auf der Terrasse mit ihrem Basset-Welpen
gespielt. Den olympiatauglichen Pool zu benutzen war ihr ohne Aufsicht streng
verboten. Allerdings war das Mädchen an diesem Morgen allein. Laut
Zeitungsbericht waren die Eltern mit unbekanntem Ziel verreist und hatten sie
der Obhut von nicht genannten Freunden überlassen. Als Holly gegen Mittag zu
Tisch gerufen wurde, war sie nirgendwo zu sehen. Nur der Welpe lief am Rand
des Pools hin und her und patschte immer wieder mit der Pfote ins Wasser. Die
Leiche des kleinen Mädchens wurde, das lange, dunkle Haar im Abfluss verfangen,
auf dem Grund des Pools entdeckt. Neben der Leiche lag ein Gummiknochen. Die
Polizei ging davon aus, dass Holly ihn für ihren Hund aus dem Wasser hatte
holen wollen.
Der nächste Artikel ist sehr
kurz: Keine zwei Monate später war Lydia Webster, die Mutter des Kindes, Gast
in Dr. Selfs Sendung.
»Ich erinnere mich, von diesem
Fall gehört zu haben«, sagt Scarpetta. »Ich glaube, es geschah während meiner
Zeit in Massachusetts.«
»Eine tragische Geschichte, die
jedoch nicht an die große Glocke gehängt wurde. Die Polizei hat die Sache nach
Möglichkeit heruntergespielt. Schließlich ist man in einem Ferienort nicht
unbedingt scharf darauf, dass solche, um es mal so auszudrücken, unschönen
Ereignisse publik gemacht werden.« Hollings greift zum Telefon. »Ich denke
nicht, dass der Gerichtsmediziner, der die Leiche obduziert hat, Ihnen viel
erzählen wird, aber wir wollen es auf einen Versuch ankommen lassen.« Er hält
inne. »Henry Hollings hier ... ausgezeichnet... Sie ersticken in Arbeit? Ich
weiß, ich weiß ... Man sollte Ihnen wirklich zusätzliche Planstellen bewilligen
... Nein, ich war schon länger nicht mehr mit meinem Boot draußen ... Richtig
... Ich bin Ihnen noch einen Angelausflug schuldig. Und Sie mir etwas für
meinen Vortrag vor diesen sensationslüsternen Studenten, die Mordermittlungen
anscheinend für eine spannende Freizeitbeschäftigung halten ... Ich rufe wegen
des Falls Holly Webster an. Dr. Scarpetta sitzt hier neben mir. Hätten Sie
vielleicht Zeit, kurz mit ihr zu sprechen?«
Nachdem Hollings ihr den Hörer
gereicht hat, erklärt sie dem stellvertretenden Chefpathologen von der
medizinischen Fakultät der University of South Carolina, man habe sie als
Beraterin zu einem Fall hinzugezogen, der möglicherweise mit dem Tod von Holly
Webster in Zusammenhang steht.
»Was für ein Fall ist denn
das?«, fragt der stellvertretende Chefpathologe.
»Tut mir leid, aber darüber darf
ich nicht sprechen«, erwidert sie. »Schließlich handelt es sich um laufende
Ermittlungen.«
»Prima, dann kennen Sie ja das
Spiel. Für den Fall Webster gilt nämlich dasselbe.«
Offenbar will er auf stur
schalten.
»Ich möchte Sie wirklich nicht
belästigen«, antwortet Scarpetta. »Als Zeichen meines guten Willens verrate ich
Ihnen so viel, dass ich Mr. Hollings in seiner Funktion als Leichenbeschauer
aufgesucht habe, und zwar deshalb, weil Gianni Lupano, Drew Martins
Tennistrainer, offenbar auf Holly Websters Beerdigung war. Welchen Grund mag er
wohl dafür gehabt haben? Mehr darf ich wirklich nicht ins Detail gehen.«
»Der Name sagt mir nichts.«
»Das beantwortet bereits
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