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Totenbuch

Totenbuch

Titel: Totenbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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Ring im Sonnenlicht. Doch
auch das kann sie nicht aufmuntern. Das schöne Wetter soll ohnehin nicht
anhalten. Schon für heute Nachmittag sind weitere Gewitter angesagt.
    Die Straße schlängelt sich
vorbei an Golfplätzen und über kleine Brücken, die schmale Kanäle und Teiche
kreuzen. Auf einer mit Gras bewachsenen Böschung liegt ein Alligator so reglos
da wie ein Baumstamm. Schildkröten sitzen still im Morast, und ein schneeweißer
Reiher steht auf einem Bein im flachen Wasser. Vorn im Wagen wird eine Weile
über Dr. Seif gesprochen. Riesige Eichen werfen ihre dunklen Schatten auf den
Weg. Der Greisenbart an ihren Stämmen sieht aus wie totes, graues Haar. Es hat
sich kaum etwas verändert. Einige neue Häuser sind gebaut worden, und Scarpetta
kommen lange Spaziergänge, Meeresluft, Wind und Abendsonne auf dem Balkon in
den Sinn. Und der Augenblick, in dem alles endete. Sie sieht das vor sich, was
sie für seine Leiche gehalten hat. In der verkohlten Ruine des Gebäudes, in
dem er angeblich den Tod fand. Sein silbergraues Haar, der verbrannte Körper,
das geschwärzte Holz und der Schutt, hinterlassen von einem Feuer, das bei
ihrer Ankunft noch qualmte. Sein Gesicht war fort, von ihm selbst blieben nur
noch verkohlte Knochen übrig. Die Autopsieberichte waren gefälscht. Man hat sie
getäuscht. Bentons Entscheidung, unterzutauchen, hat tiefe Narben auf ihrer
Seele hinterlassen, ihr Leben völlig auf den Kopf gestellt und sie als Person
unwiederbringlich verändert. Der Zwischenfall mit Marino hat sie längst nicht
so sehr erschüttert.
    Der Wagen stoppt in der Auffahrt
von Lydia Websters riesiger weißer Villa. Scarpetta erinnert sich, sie vom
Strand aus gesehen zu haben. Der Grund, warum sie heute hier ist, erscheint ihr
immer noch unwirklich. Streifenwagen säumen die Straße.
    »Die Websters haben das Haus vor
etwa einem Jahr gekauft. Davor gehörte es einem Wirtschaftsboss aus Dubai«,
erklärt Turkington und öffnet die Wagentür. »Wirklich traurig. Gerade hatten
sie alles von Grund auf umgebaut und waren eingezogen, als das kleine Mädchen
ertrank. Keine Ahnung, wie Mrs. Webster es danach noch hier ausgehalten hat.«
    »Manchmal können Menschen nicht
loslassen«, erwidert Scarpetta, als sie über den Gartenweg auf die Steinstufen
zugehen, die zu der dicken doppelflügeligen Tür aus Teakholz führen. »Und
deshalb verkriechen sie sich in einem Haus und in ihren Erinnerungen.«
    »Kriegt sie nach der Scheidung
eigentlich das Haus?«, fragt Lucy.
    »Vermutlich hätte das Gericht es
ihr zugesprochen.« Als ob kein Zweifel mehr an ihrem Tod bestünde. »Doch der
Scheidungsprozess läuft noch. Ihr Mann verdient sein Geld mit Hedge-Fonds und
Anlageberatungen und ist fast so reich wie Sie.«
    »Können wir dieses Thema bitte
lassen?«, raunzt Lucy.
    Turkington öffnet die Tür.
Drinnen sind zahlreiche Spurensicherungsexperten zugange. An einer Wand im Flur
lehnt ein Fenster mit zerbrochener Scheibe.
    »Laut Aussage der Urlauberin«,
meint Turkington zu Scarpetta, »dieser Madelisa Dooley, fehlte die
Fensterscheibe, als sie das Haus durch die Waschküche betrat. Und zwar die
hier.« Er geht in die Hocke und deutet auf die untere rechte Scheibe. »Der
Täter hat sie entfernt und anschließend wieder eingesetzt. Wenn Sie genau
hinschauen, können Sie Leimreste erkennen. Ich habe ihr weisgemacht, wir
hätten bei unserer Durchsuchung keine Scherben gefunden, weil ich sehen wollte,
ob sie ihre Geschichte vielleicht ändert.«
    »Wie es aussieht, haben Sie die
Scheibe nicht zuerst eingeschäumt«, meint Scarpetta.
    »Ich habe von dieser Methode
gehört«, erwidert Turkington. »Wir sollten sie auch übernehmen. Falls Mrs.
Dooley die Wahrheit sagt, muss in diesem Haus etwas passiert sein, und zwar
erst, nachdem sie es verlassen hat.«
    »Wir schäumen das Fenster ein,
bevor es verpackt und abtransportiert wird«, beschließt Scarpetta. »Damit
stabilisieren wir das zerbrochene Glas.«
    »Tun Sie sich keinen Zwang an.«
Turkington geht ins Wohnzimmer, wo ein Spurensicherungsexperte das
Durcheinander auf dem Couchtisch fotografiert. Ein Kollege nimmt gerade die
Polster vom Sofa.
    Scarpetta und Lucy klappen ihre
schwarzen Koffer auf. Während sie Schuhhüllen und Handschuhe überstreifen,
tritt eine Frau aus dem Wohnzimmer. Sie trägt eine Cargohose und ein Polohemd,
auf dem in Großbuchstaben SPURENSICHERUNG steht. Die Frau ist etwa Mitte vierzig
und hat braune Augen und kurzes dunkles Haar. Außerdem ist sie sehr

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