Totenbuch
Wohnung. Sie war so außer sich, dass ich sie zuerst beruhigen
musste«, ergänzt Ashley. »Sie hat geweint wie ein Baby. Wir haben sogar unsere
Tennisstunde verpasst. Die ganze Nacht lang hat sie nicht aufhören können zu
schluchzen. Schatz,
warum schläfst du nicht erst mal? Wir reden morgen früh darüber, habe ich da zu ihr gesagt. Die Wahrheit
ist, dass ich ihr nicht wirklich geglaubt habe. Meine Frau hat nämlich eine
blühende Phantasie. Ständig liest sie Detektivgeschichten und schaut sich im
Fernsehen Krimis an. Aber als sie sich einfach nicht beruhigt hat, habe ich mir
allmählich Sorgen gemacht und gedacht, dass vielleicht mehr dahintersteckt.
Deshalb habe ich Sie angerufen.«
»Allerdings erst nach einer
weiteren Tennisstunde«, entgegnet Turkington spitz. »Obwohl Ihre Frau derart
außer sich war, sind Sie heute Morgen zum Tennis gegangen. Nach Ihrer Rückkehr
haben Sie erst einmal gemütlich geduscht, sich umgezogen und anschließend Ihre
Sachen ins Auto gepackt, um nach Charleston zu fahren. Und erst dann sind Sie
auf den Gedanken gekommen, die Polizei zu verständigen? Verlangen Sie von mir
allen Ernstes, dass ich Ihnen das abnehme?«
»Warum hätten wir unseren Urlaub
um zwei Tage verkürzen sollen, wenn das nicht stimmt? Immerhin hatten wir ihn
ein ganzes Jahr im Voraus geplant«, protestiert Ashley. »Meinen Sie, wir
bekommen wegen dieses Notfalls unser Geld zurück? Vielleicht könnten Sie ja ein
gutes Wort für uns bei der Agentur einlegen.«
»Wenn Sie die Polizei nur
deswegen angerufen haben, war das reine Zeitverschwendung«, gibt Turkington
zurück.
»Mir wäre es lieber, wenn Sie
meinen Camcorder nicht hierbehielten. Ich habe doch das kurze Stück gelöscht,
das ich vor dem Haus aufgenommen habe. Es gibt nichts für Sie zu sehen. Nur
Madelisa, wie sie vor dem Haus steht und etwa zehn Sekunden lang mit ihrer
Schwester spricht.«
»War die Schwester etwa auch
dabei?«
»Sie wollte ihr mit dem Film
eine Botschaft schicken. Ich weiß nicht, was er Ihnen bringen soll. Ich habe
doch alles gelöscht.«
Madelisa hat ihn darum gebeten,
damit der Hund nicht im Bild ist. Er hat sie nämlich gefilmt, als sie das Tier
streichelte.
»Vielleicht haben Sie ja den
Rauch vom Grill aufgenommen«, meint Turkington zu Ashley. »Sie sagten doch, Sie
hätten ihn vom Strand her bemerkt, richtig? Wenn Sie das Haus gefilmt haben,
müsste der Rauch eigentlich auch im Bild sein.«
Ashley
ist überrascht. »Tja, ich glaube, das habe ich nicht draufgekriegt. Ich habe
die Kamera nicht darauf gerichtet. Können Sie sich den Film nicht einfach
anschauen und mir die Kamera dann zurückgeben? Schließlich sind nur Madelisa
und ein paar Delphine drauf. Außerdem noch ein paar Sachen, die ich bei uns zu
Hause gefilmt habe. Ich begreife nicht, warum Sie unbedingt meinen Camcorder
brauchen.«
»Wir müssen uns vergewissern,
dass Sie wirklich nichts aufgenommen haben, was uns weiterbringt,
Einzelheiten, die Ihnen womöglich gar nicht aufgefallen sind.«
»Was zum Beispiel?«, fragt
Ashley erschrocken.
»Dass Sie zum Beispiel gelogen
haben, als Sie sagten, Sie seien nicht ins Haus gegangen, nachdem Ihre Frau Ihnen
berichtet hatte, was geschehen war.« Allmählich hat Turkington genug von dem
Theater. »Mir erscheint es nämlich ziemlich unglaubwürdig, dass Sie nicht nach
dem Rechten gesehen haben wollen.«
»Wenn es nicht nur Einbildung
war, wäre es doch Wahnsinn von mir gewesen, auch nur einen Fuß in dieses Haus
zu setzen«, erwidert Ashley. »Was, wenn sich der Mörder noch dort versteckt
gehalten hätte?«
Madelisa erinnert sich an das
Plätschern von Wasser, das Blut, die Kleidungsstücke und das Foto von der toten
Tennisspielerin. Sie stellt sich das Durcheinander in dem riesigen Wohnzimmer
vor, die vielen Döschen mit verschreibungspflichtigen Medikamenten und die
Wodkaflasche. Der Projektor war eingeschaltet, obwohl auf der Leinwand kein
Film lief. Der Detective glaubt ihr nicht. Sicher kommen jetzt große
Schwierigkeiten auf sie zu: Einbruch. Hundediebstahl. Falschaussage. Niemand
darf von der Existenz des Hundes erfahren. Sonst wird man ihn ihr wegnehmen
und einschläfern. Sie liebt diesen Hund. Na und, dann hat sie eben gelogen.
Wenn es um das Leben eines Hundes geht, wird sie auch weiter lügen, dass sich
die Balken biegen.
»Ich möchte mich ja nicht
einmischen«, beginnt Madelisa und nimmt ihren ganzen Mut zusammen. »Aber wissen
Sie, wer in dem Haus wohnt und ob dort etwas Schreckliches geschehen
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