Totenbuch
befindet sich ein Stapel Tennisschuhe, noch in den Kartons. Auf einem
italienischen Couchtisch, der ganz und gar aus Glas besteht, liegt ein Stoß
Tenniszeitschriften. Auf einem Titelblatt setzt Drew Martin gerade zu einem
Schmetterball an.
»Weshalb waren Sie denn
nervös?«, hakt sie nach.
»Die junge Dame, Lucy, hat den
Wagen angelassen, weil sie etwas nachschauen wollte. Ich habe befürchtet, er
könnte dahintergekommen sein. Aber das war offenbar nicht der Grund seines
Anrufs, denn er meinte: Sie haben sich immer so
gut um das Auto gekümmert. Ich möchte, dass Sie es bekommen. - Was? Wovon reden
Sie, Mr. Lupano? Ich kann doch nicht einfach Ihr Auto nehmen?, habe ich geantwortet. Warum
wollen Sie denn so ein schönes Auto verschenken? Und da sagte er: Ed,
Sie kriegen es schriftlich von mir, damit alle wissen, dass das Auto jetzt
Ihnen gehört. Und so
bin ich so schnell wie möglich nach oben gefahren. Die Tür war nicht abgeschlossen,
so als wollte er jeden in die Wohnung lassen. Und da habe ich gesehen, dass
das Fenster offen war.«
Er deutet darauf, als ob
Scarpetta das nicht schon längst festgestellt hätte.
Während er hinaushastet,
verständigt sie die Polizei, erklärt der Telefonistin, dass offenbar jemand aus
dem Fenster gesprungen ist, und nennt die Adresse. Im Aufzug berichtet Ed
weiter, er habe sicherheitshalber die Wohnung abgesucht und ein Stück Papier gefunden,
dieses aber auf dem Bett liegen gelassen. Immer wieder habe er nach Mr. Lupano
gerufen und gerade die Polizei alarmieren wollen, als Scarpetta erschienen sei.
Unten durchquert eine alte Frau
langsam die Vorhalle. Ihr Stock klappert auf dem Marmorboden. Scarpetta und Ed
eilen an ihr vorbei und aus dem Gebäude. In der Dunkelheit laufen sie um die
Ecke und bleiben unmittelbar unter Lupanos offenem Fenster stehen, das sich
hell erleuchtet von der Fassade abhebt. Als Scarpetta sich durch eine hohe
Hecke zwängt, schnalzen die Zweige knackend zurück. Sie findet ihre schlimmsten
Erwartungen bestätigt: Die nackte Leiche liegt verkrümmt an der Backsteinmauer
des Hauses. Gliedmaßen und Hals sind in unnatürlichen Winkeln verrenkt. Blut
glänzt in der Finsternis. Als Scarpetta zwei Finger an die Karotidarterie hält,
fühlt sie keinen Puls. Sie dreht den Mann auf den Rücken und beginnt mit der
Mund-zu-Mund-Beatmung. Schließlich blickt sie auf und wischt sich das Blut von
Gesicht und Mund. Sirenen heulen, die zuckenden Blaulichter sind schon an der
East Bay zu sehen. Scarpetta rappelt sich auf und kämpft sich wieder durch die
Hecke.
»Kommen Sie«, fordert sie Ed
auf. »Schauen Sie sich den Mann an und sagen Sie mir, ob es Lupano ist.«
»Ist er ...?«
»Sehen Sie ihn sich einfach an.«
Ed tastet sich durchs Gebüsch
und kehrt im Eiltempo zurück.
»Um Gottes willen!«, ruft er.
»Oh, nein! Oh, mein Gott!«
»Ist er es?«, fragt sie. Ed
nickt. Scarpetta ist ein wenig mulmig zumute, weil sie gerade eine ungeschützte
Mund-zu-Mund-Beatmung durchgeführt hat. »Wo waren Sie, als er Sie vorhin wegen
seines Porsche anrief?«
»An meinem Schreibtisch.« Ed
blickt ängstlich hin und her. Er schwitzt, fährt sich immer wieder mit der
Zunge über die Lippen und räuspert sich.
»Hat jemand etwa um die Zeit des
Anrufs oder kurz davor das Haus betreten?«
Mit heulenden Sirenen stoppen
einige Streifenwagen und ein Krankenwagen am Straßenrand, sodass Eds Gesicht in
den Schein zuckender Blaulichter getaucht wird. »Nein«, antwortet er. Bis auf
einige Bewohner habe er niemanden gesehen.
Türen werden zugeschlagen,
Funkgeräte knattern, Motoren tuckern. Polizisten und Sanitäter springen aus
ihren Fahrzeugen.
»Ihre Brieftasche liegt auf dem
Schreibtisch«, sagt Scarpetta zu Ed. »Hatten Sie sie gerade herausgeholt, als
das Telefon läutete?« Dann wendet sie sich an die Polizisten in Zivil. »Da
drüben.« Sie deutet auf die Hecke. »Er kam von dort oben.« Sie weist auf das erleuchtete
offene Fenster in der obersten Etage.
»Sie sind doch die neue
Pathologin.« Der Detective mustert sie fragend.
»Ja.«
»Haben Sie ihn für tot erklärt?«
»Das ist Aufgabe des
Leichenbeschauers.«
Der Detective will gerade auf
das Gebüsch zusteuern, als sie ihm bestätigt, dass der Mann - vermutlich
Lupano, wenn sie nicht alles täuscht - tot ist. »Ich brauche noch Ihre Aussage,
gehen Sie nicht weg«, ruft er ihr zu. Das Gebüsch raschelt und knackt, als er
sich hindurchzwängt.
»Ich kapiere nicht, was meine
Brieftasche damit zu tun haben soll«,
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