Totenbuch
war. Warum zieht sich jemand aus, bevor er aus dem Fenster
springt?«
»Das könnte Ihnen die
toxikologische Untersuchung beantworten«, erwidert Scarpetta. »Nach Ansicht
des Pförtners klang Lupano betrunken, als er ihn kurz vor seinem Tod anrief.
Außerdem müssten wir drei aufgrund unserer Berufserfahrung wissen, dass
Selbstmörder häufig dazu neigen, sich unlogisch oder sogar verdächtig zu
verhalten. Haben Sie in der Wohnung übrigens die Kleidungsstücke gefunden, die
er vermutlich zuletzt angehabt hat?«
»Ein paar meiner Leute schauen
sich gerade oben um. Auf seinem Bett lagen Sachen: Jeans und ein Hemd. Nichts
Ungewöhnliches also. Keine Hinweise darauf, dass sonst noch jemand in der
Wohnung war, als er aus dem Fenster fiel.«
»Hat Ed heute Abend einen
Fremden im Haus gesehen?«, will Hollings wissen. »Oder jemanden, der Lupano
besuchen wollte? Ed ist nämlich ganz schön pingelig, wenn es darum geht, Leute
ins Haus zu lassen.«
»So weit bin ich nicht mit ihm
gekommen«, antwortet Scarpetta. »Ich habe ihn nur gefragt, warum er seine
Brieftasche offen auf dem Schreibtisch liegen hatte. Seine Antwort war, sie
wäre schon dort gewesen, als Lupano anrief. Und dann sei er sofort nach oben
gelaufen.«
»Er hat sich eine Pizza
bestellt«, ergänzt der Detective. »Das zumindest hat er mir erzählt. Gerade
hätte er einen Hundertdollarschein aus der Brieftasche genommen, als das
Telefon läutete. Das stimmt tatsächlich, und zwar bei Mamma Mia. Doch als der Pizzabote kam, hat
niemand aufgemacht, und der Mann ist wieder abgezogen. Allerdings finde ich
die Sache mit dem Hundertdollarschein merkwürdig. Hat Ed allen Ernstes
geglaubt, dass ein Pizzabote einen so großen Schein wechseln kann?«
»Vielleicht sollten Sie ihn
fragen, wer zuerst angerufen hat.«
»Gute Idee«, meint Hollings.
»Lupano ist dafür bekannt, dass er mit dem Geld nur so um sich wirft, einen
teuren Geschmack hat und immer viel Bares mit sich herumträgt. Wenn er während
Eds Schicht nach Hause gekommen ist, hat Ed es sicher gewusst. Dann bestellt er
die Pizza, merkt aber im nächsten Moment, dass er nur einen Hundertdollarschein
bei sich hat.«
Scarpetta erwähnt lieber nicht,
dass Lucy das Navigationssystem in Lupanos Auto überprüft hat.
»Vielleicht hat es sich ja
folgendermaßen abgespielt«, sagt sie. »Ed ruft Lupano an und fragt ihn, ob er
Wechselgeld hat. Inzwischen ist Lupano betrunken, steht vielleicht unter
Drogen und redet wirres Zeug. Also macht Ed sich Sorgen und geht rauf in seine
Wohnung.«
»Oder er wollte sich das Geld
wechseln lassen«, schlägt Hollings vor.
»Doch das setzt ebenfalls
voraus, dass Ed Lupano angerufen hat und nicht umgekehrt.«
»Ich frage ihn«, beschließt der
Detective und setzt sich in Bewegung.
»Ich habe das Gefühl, dass wir
beide einiges klären sollten«, beginnt Hollings.
Scarpetta blickt zum Himmel und
denkt an den bevorstehenden Flug.
»Wollen wir uns ein Plätzchen
suchen, wo wir ungestört sind?«, fährt er fort.
Auf der anderen Straßenseite
liegen die White Point Gardens, ein großer Park voller Bürgerkriegsdenkmäler,
Eichen und alter Kanonen, die auf Fort Sumter gerichtet sind. Scarpetta und Hollings
lassen sich auf einer Bank nieder.
»Ich weiß über Rose Bescheid«,
beginnt sie.
»Das habe ich mir gedacht.«
»Werden Sie sich um sie
kümmern?«
»Offenbar leisten Sie ebenfalls
ganze Arbeit. Ich habe heute Abend von Ihrem Ein topf kosten dürfen.«
»Vorhin sind Sie gegangen und
wiedergekommen, damit niemand bemerkt, dass Sie schon im Haus waren«, stellt
Scarpetta fest.
»Also haben Sie nichts
dagegen?«, erkundigt er sich, als ob er ihren Segen brauchte.
»Die Bedingung ist, dass Sie gut
zu ihr sind. Anderenfalls können Sie etwas erleben.«
»Die Warnung ist angekommen.«
»Ich muss Ihnen noch ein paar
Fragen über Lupano stellen«, wechselt sie das Thema. »Haben Sie sich vielleicht
mit ihm in Verbindung gesetzt, nachdem ich heute bei Ihnen im Bestattungsinstitut
war?«
»Dürfte ich erfahren, was Sie
auf diesen Gedanken bringt?«
»Weil wir beide gerade über ihn
gesprochen hatten und weil ich von Ihnen wissen wollte, warum er auf Holly
Websters Beerdigung war. Also ist der Gedanke doch naheliegend.«
»Dass ich mit ihm darüber
gesprochen habe?«
»Und haben Sie?«
»Ja.«
»In den Nachrichten kam, Lydia
Webster werde vermisst und sei vermutlich tot«, sagt Scarpetta.
»Er kannte sie. Und zwar gut.
Wir haben lange miteinander geredet. Er war sehr
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