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Totenbuch

Totenbuch

Titel: Totenbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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Hubschrauber fast auf der Stelle zu schweben
scheint, und sinkt dann an der Nordspitze von Morris Island auf knapp
dreihundert Fuß. Die Insel ist unbewohnt und die meiste Zeit nur mit dem
Helikopter oder Boot zugänglich. Bei Ebbe kann man allerdings von Folly Beach
hinüberwaten. Scarpetta lässt den Blick über das etwa dreihundertzwanzig
Hektar große unwirtliche Naturschutzgebiet schweifen, das im Bürgerkrieg
Schauplatz heftiger Gefechte gewesen ist.
    »Wahrscheinlich hat sich hier in
den letzten hundertvierzig Jahren nicht viel verändert«, stellt sie fest, während
Lucy den Hubschrauber um weitere hundert Fuß sinken lässt.
    »Hier wurde das
vierundfünfzigste Massachusetts-Regiment abgeschlachtet, das ausschließlich aus
Afroamerikanern bestand«, ergänzt Benton. »Es gibt einen Film darüber. Wie hieß
er doch gleich?«
    »Schau auf deiner Seite runter«,
weist Lucy ihn an. »Gib uns Bescheid, wenn du etwas siehst. Dann leuchte ich
die Stelle mit dem Suchscheinwerfer ab.«
    »Der Film hieß Glory«, erwidert Scarpetta. »Aber lass den
Suchscheinwerfer noch weg«, fügt sie hinzu. »Er stört das Infrarotlicht.«
    Auf dem Videoschirm ist ein
fleckiges graues Gebiet zu sehen. Kleine Wellen zeigen, wo das Wasser beginnt,
das, glitzernd wie geschmolzenes Blei, an den Strand schwappt und sich in
kleinen schaumgekrönten Wellen im Sand bricht.
    »Ich kann da unten nichts sehen
als dunkle Dünen und diesen dämlichen Leuchtturm, der uns überallhin verfolgt«,
verkündet Scarpetta.
    »Wäre nett, wenn sie das Ding
wieder beleuchten würden, damit unsereins nicht damit kollidiert«, merkt Lucy
an. »Ich werde nach einem schachbrettförmigen Raster vorgehen. Sechzig Knoten,
zweihundert Fuß. Dann suche ich den Boden Zentimeter um Zentimeter ab.«
    Allerdings dauert die Suche
nicht lange.
    »Kannst du mal da drüben stehen
bleiben?« Scarpetta deutet auf eine Stelle, die auch Lucy gerade aufgefallen
ist. »An dem Strand, den wir gerade überflogen haben. Nein, ein Stück zurück.
Dort haben wir eine eindeutige Temperaturveränderung.«
    Als Lucy den Helikopter wendet,
ist der Leuchtturm auf ihrer Seite als gestreifter Stummel inmitten des
bewegten bleigrauen Hafenwassers auf dem Infrarotschirm zu sehen. Ein
Kreuzfahrtschiff ein Stück weiter draußen wirkt mit seinen gleißend weißen
Fenstern und der langen Rauchsäule, die aus dem Schornstein quillt,
richtiggehend gespenstisch.
    »Hier. Zwanzig Grad links von
dieser Düne!«, ruft Scarpetta. »Ich glaube, da ist etwas.«
    »Ich habe es gesehen«, antwortet
Lucy.
    Der leuchtend weiße Fleck hebt
sich deutlich vom unregelmäßigen Grau ab. Lucy blickt nach unten, hält
Ausschau nach der richtigen Position, kreist und sinkt weiter.
    Als Scarpetta das Bild schärfer
einstellt, verwandelt sich der schimmernde weiße Umriss in einen Körper, der so
unnatürlich hell strahlt wie ein Stern. Er liegt am Rand eines kleinen, wie
Glas glitzernden Bachs.
    Lucy schaltet das Infrarotgerät
ab und den Suchscheinwerfer ein. Plötzlich ist es taghell. Strandhafer biegt
sich bis zum Boden, und Sand wirbelt auf, als sie landen.
    Eine schwarze Krawatte flattert
im Luftstrom der langsamer werdenden Rotoren.
    Scarpetta blickt aus dem
Fenster. In einiger Entfernung ist im Scheinwerferlicht ein Gesicht zu sehen.
Weiße Zähne leuchten aus einer aufgequollenen Masse, bei der nicht mehr zu
erkennen ist, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelt. Der Anzug ist
der einzige Hinweis.
    »Wer zum Teufel ist das?«,
wundert sich Benton.
    »Jedenfalls nicht Lydia
Webster«, entgegnet Lucy und betätigt verschiedene Schalter. »Bist du
eigentlich bewaffnet? Ich habe jedenfalls meine Pistole dabei. Hier stimmt
doch etwas nicht.«
    Sie stellt die Batterie ab. Dann
öffnen sie die Türen und steigen aus. Der Sand unter ihren Füßen ist weich. Ein
überwältigender Gestank schlägt ihnen entgegen, bis sie sich in die
Windrichtung stellen. Die Waffen im Anschlag, leuchten sie alles mit Taschenlampen
ab. Wie eine gewaltige Libelle ruht der Helikopter auf dem dunklen Strand. Bis
auf das Plätschern der Wellen ist nichts zu hören. Der Lichtstrahl von
Scarpettas Taschenlampe bleibt an der breiten Schleifspur stehen, die bis zu
einer Düne führt.
    »Jemand war mit einem Boot
hier«, stellt Lucy fest und nähert sich den Dünen. »Mit einem flachen Kiel.«
    Die Dünen sind mit Strandhafer
und anderen Pflanzen bewachsen und erstrecken sich, unberührt vom Wasser, so
weit das Auge reicht. Scarpetta

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