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Totenbuch

Totenbuch

Titel: Totenbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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weiß, wo
wir ihn finden können.« Sie holen die Transportgondel, die Leichensäcke, die
Gummilaken und die restliche mitgebrachte Schutzausrüstung. Mit der Frau
fangen sie an. Sie ist schlaff denn die Leichenstarre ist bereits abgeklungen,
so als hätte sie es aufgegeben, sich gegen ihren Tod aufzulehnen. Insekten und
anderes Kleingetier wie Krabben haben sich ihrer bemächtigt und alle weichen
Stellen und das Wundgewebe vertilgt. Ihr Gesicht ist geschwollen, der Körper
von bakteriellen Gasen aufgetrieben, die Haut vom Muster ihrer Blutgefäße
grünlich blau marmoriert. Die linke Gesäßhälfte und die Rückseite ihres
Oberschenkels wurden grob abgetrennt. Doch sonst gibt es keine Hinweise auf
Verletzungen oder Verstümmelungen oder gar auf die Todesursache. Sie legen sie
auf ein Laken und dann in den Leichensack, den Scarpetta verschließt.
    Danach kümmern sie sich um den
Mann am Strand, zwischen dessen zusammengebissenen Zähnen eine Plastikschiene
klemmt. Am rechten Handgelenk hat er ein Gummiband. Anzug und Krawatte sind
schwarz. Das weiße Hemd ist mit Blut und Körperflüssigkeit durchtränkt. Eine
Reihe von Schlitzen an der Vorder- und Rückseite seines Sakkos lassen vermuten,
dass mehrfach auf ihn eingestochen wurde. Maden wimmeln in seinen Wunden und bewegen
sich unter seinem Hemd wie eine wogende Masse. Die Brieftasche in seiner Hose
gehört Lucious Meddick. Offenbar war der Mörder nicht an Geld oder Kreditkarten
interessiert.
    Nachdem Scarpetta und Benton
alles fotografiert und sich Notizen gemacht haben, schnallen sie die Leiche
der Frau - Lydia Webster - auf die Transportgondel, während Lucy ein fünfzehn
Meter langes Seil und ein Netz aus dem Gepäckraum des Helikopters holt. Sie
reicht Scarpetta ihre Waffe.
    »Du brauchst sie jetzt
dringender«, sagt sie.
    Dann steigt sie ein und lässt
den Motor an. Die Rotoren wälzen geräuschvoll die Luft um, Lichter blitzen, und
dann erhebt sich der Helikopter ganz langsam, bis sich das Seil spannt und das
Netz mit seiner grausigen Last über dem Sand schwebt. Als sie losfliegt,
schwankt die Ladung sanft hin und her wie ein Pendel. Scarpetta und Benton
kehren zum Zelt zurück. Wenn es Tag wäre, würden die Fliegen in dröhnenden
Schwärmen über sie hereinbrechen, und die Luft wäre dick und erfüllt vom Lärm
des Verfalls.
    »Er übernachtet hier«, stellt
Benton fest. »Allerdings nicht immer.«
    Er stößt das Kopfkissen mit dem
Fuß an. Darunter befinden sich die Kante der Decke und die Matratze. Die
Streichholzschachtel hat er mit einem Gefrierbeutel vor der Feuchtigkeit
geschützt, doch die Taschenbücher bedeuten ihm offenbar nicht viel. Sie sind
durchweicht. Die Seiten kleben aneinander. Es handelt sich um Familiensagas und
Liebesromane unbekannter Autoren, wie man sie in einem Drugstore kauft, wenn
man etwas zu lesen braucht und nicht wählerisch ist. Hinter dem kleinen Zelt
entdecken sie eine Feuerstelle aus einem verkrusteten Grillrost und einigen
Steinen. Der Täter benutzt offenbar Holzkohle. Daneben liegen ein paar leere
Root-Beer-Dosen. Scarpetta und Benton fassen nichts an und kehren zum Strand
zurück, wo der Helikopter vorhin gelandet ist. Die Spuren seiner Kufen haben
sich tief in den Sand eingegraben. Inzwischen sind die Sterne aufgegangen. Der
Gestank liegt zwar noch immer in der Luft, ist aber nicht mehr so übermächtig.
    »Im ersten Moment dachtest du,
dass er es ist. Das habe ich dir angesehen«, sagt Benton.
    »Hoffentlich hat er keine
Dummheiten gemacht«, erwidert sie. »Wenn doch, ist das ebenfalls Dr. Selfs
Schuld. Sie hat unsere Freundschaft zerstört und uns gegeneinander aufgehetzt.
Du hast mir noch gar nicht erzählt, wie du dahintergekommen bist.« Wieder
steigt - alte und neue - Wut in ihr hoch.
    »Menschen gegeneinander
aufzuhetzen ist offenbar ihre Lieblingsbeschäftigung.«
    Sie stehen am Ufer, in
Windrichtung zu Lucious Meddick in seiner schwarzen Hülle, sodass der Gestank
von ihnen weggeweht wird. Scarpetta riecht das Meer und hört sein Atmen und das
leise Plätschern der Wellen an den Strand. Der Horizont ist schwarz. Der
Leuchtturm ist niemandem eine Warnung mehr.
    Kurz darauf blinken Lichter in
der Ferne. Als Lucy landet, müssen sich Scarpetta und Benton von dem
peitschenden Sand abwenden. Nachdem Lucious Meddicks Leiche sicher im Netz
verstaut ist, starten sie und bringen sie nach Charleston. Auf der Rampe zucken
Blaulichter. Henry Hollings und Capitano Poma stehen neben einem

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