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Totenbuch

Totenbuch

Titel: Totenbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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kritische Stelle am unteren Rand des Hypothalamus. Wie
immer, wenn Lucy diese Aufnahmen betrachtet, glaubt sie, dass hier ein Irrtum
vorliegen muss. Das kann doch unmöglich ihr Gehirn sein! Ein junges Gehirn, wie
Nate sagt. Anatomisch gesehen ein tolles Gehirn, wenn da nicht dieser kleine
Fehler wäre, ein Tumor, etwa halb so groß wie ein Penny.
    »Mir ist es egal, was in den Fachzeitschriften steht.
Niemand schnippelt an meinem Gehirn herum. Wie sieht es aus? Bitte sag, dass
alles gut ist«, fleht sie.
    Nate vergleicht die ältere Aufnahme mit der neuen.
»Kein dramatischer Unterschied. Immer noch zwischen sieben und acht
Millimetern. Nichts oberhalb der Hirnanhangdrüse. Eine kleine Wanderung vom
Stamm der Hirnanhangdrüse aus betrachtet nach rechts.« Er deutet mit einem
Stift. »Sehnerven frei.« Wieder zeigt er. »Das ist ausgezeichnet.« Er legt den
Stift weg, legt beide Zeigefinger aneinander und bewegt sie auf ihre Augen zu,
um ihr peripheres Gesichtsfeld zu testen. »Ausgezeichnet«, meint er wieder.
»Also fast wie immer. Das Geschwür wächst nicht.«
    »Es wird aber auch nicht kleiner.«
    »Setz dich.«
    Sie lässt sich auf der Sofakante nieder. »Kurz und
gut«, beginnt sie. »Das Ding ist immer noch da. Durch das Medikament ist es weder
ausgetrocknet noch abgestorben, und das wird auch nie passieren, richtig?«
    »Aber es wächst nicht«, wiederholt er. »Dank der
Medikamente ist es sogar ein wenig geschrumpft und im Wachstum gestoppt worden.
Gut. Also zu den Möglichkeiten. Was willst du tun? Ich muss hinzufügen, dass
Dostinex und seine Nachahmerpräparate möglicherweise zu Schäden an den
Herzklappen führen können, auch wenn ich nicht sicher bin, ob du dir dahingehend
Sorgen machen musst. Die Studien wurden mit Parkinson-Patienten durchgeführt.
Da du nur eine geringe Dosis einnimmst, müsstest du eigentlich im grünen
Bereich sein. Das größere Problem ist, dass ich dir ein Dutzend Rezepte
ausstellen könnte, ohne dass du hierzulande auch nur eine einzige Tablette
dafür bekommst.«
    »Es wird in Italien produziert. Dr. Maroni hat mir
zugesichert, es dort für mich zu besorgen.«
    »Gut. Aber ich möchte, dass du alle sechs Monate ein
EKG anfertigen lässt.«
    Das Telefon läutet. Nate drückt auf einen Knopf,
lauscht kurz und meint zu dem Anrufer: »Danke. Wenn die Sache aus dem Ruder
läuft, verständigen Sie den Sicherheitsdienst. Und sorgen Sie dafür, dass
niemand das Ding anfasst.« Er legt auf. »Offenbar ist jemand mit einem roten
Ferrari vorgefahren, der ziemlich viel Aufsehen erregt«, erklärt er Lucy.
    »Ironie des Schicksals.« Sie steht vom Sofa auf.
»Alles ist eine Frage der Betrachtungsweise.«
    »Wenn du die Kiste nicht mehr willst, nehme ich sie
gern.«
    »Das ist es nicht. Es fühlt sich nur eben so anders
an. Nicht unbedingt schlecht, einfach nur anders.«
    »Das liegt an deiner Krankheit. Du lehnst sie ab.
Aber weil sie zu deinem bisherigen Leben hinzugekommen ist, verändert sie
deinen Blick auf die Dinge.« Er begleitet sie zur Tür. »Das sehe ich tagtäglich
hier.«
    »Schon gut.«
    »Du schlägst dich tapfer.« An der Tür zum
Wartebereich bleibt er stehen. Niemand ist da, der sie hören könnte. Nur der
Mann hinter dem Empfangstresen, der ständig lächelt und schon wieder am Telefon
hängt. »Angesichts des Behandlungserfolgs würde ich dich unter die besten zehn
Prozent meiner Patienten einstufen.«
    »Die obersten zehn Prozent. Ich glaube, das ist eine
Zwei plus. Wenn ich mich recht entsinne, habe ich mit einer Eins angefangen.«
    »Nein, hast du nicht. Wahrscheinlich bist du schon
eine Ewigkeit mit diesem Ding herumgelaufen und hast es erst bemerkt, als die
ersten Symptome einsetzten. Hast du mit Rose gesprochen?«
    »Sie weigert sich, sich damit auseinanderzusetzen.
Obwohl ich mir Mühe geben, ihr deshalb nicht böse zu sein, fällt es mir ziemlich
schwer. Es ist nicht fair, vor allem nicht meiner Tante gegenüber.«
    »Lass dich nicht von Rose abwimmeln, denn das
versucht sie, und zwar aus genau dem Grund, den du gerade genannt hast: Sie
will es nicht wahrhaben.« Er steckt die Hände in die Taschen seines Kittels.
»Sie braucht dich. Mit jemand anderem wird sie ganz sicher nicht darüber
reden.«
     
    Vor dem Krebszentrum umrundet eine magere Frau mit
einem Kopftuch auf dem kahlen Schädel, ihre beiden kleinen Jungen im
Schlepptau, den Ferrari. Der Parkwächter hastet Lucy entgegen.
    »Sie sind nicht zu nah rangegangen. Ich habe
aufgepasst. Niemand hat das

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