Totenbuch
kann ich nicht preisgeben.«
»Verschonen Sie mich mit Ihren Ausreden, junger
Mann! Das ist doch so klar wie Kloßbrühe. Ein Forschungsprojekt, ja, da gehört
sie hin. Welcher normale Mensch würde sich auch vor laufender Kamera so zum
Narren machen wie sie? Sie stochert in den Köpfen anderer Menschen herum und
stellt sie öffentlich bloß. So wie bei dieser Tennisspielerin, die vor kurzem
ermordet wurde. Wenn Marilyn da nicht irgendwie mitgemischt hat, fresse ich
einen Besen. Schließlich hat sie die Kleine in ihre Fernsehsendung eingeladen
und alle möglichen vertraulichen Dinge aus ihr herausgepresst, sodass die ganze
Welt davon erfahren hat. Es war ja so peinlich! Ich begreife nicht, wie die
Familie des Mädchens das zulassen konnte.«
Benton hat eine Aufzeichnung der Sendung gesehen.
Mrs. Self hat recht. Die Fragen gingen viel zu sehr ins Detail und haben Drews
Privatleben in einer Weise öffentlich gemacht, dass es geradezu zum
Allgemeingut geworden ist. Die idealen Voraussetzungen also, um zudringliche
Zeitgenossen anzulocken. So könnte der Täter jedenfalls auf sein Opfer
aufmerksam geworden sein. Obwohl Benton mit seinem Anruf eigentlich einen
anderen Zweck verfolgt, kann er sich die nächste Frage nicht verkneifen. »Wie
hat es Ihre Tochter eigentlich geschafft, Drew Martin in ihre Show einzuladen?
Kannten sie sich von früher?«
»Marilyn kann sich ihre Gäste selbst aussuchen. Wenn
sie mich anruft, was selten vorkommt, prahlt sie nur dauernd damit, wie viele
Prominente sie kennt. Bei ihr hört es sich so an, als hätten diese Leute ein
Riesenglück, von ihr überhaupt wahrgenommen zu werden, nicht umgekehrt.«
»Ich habe den Eindruck, dass Sie sie nicht häufig
sehen.«
»Glauben Sie allen Ernstes, sie würde sich die Mühe
machen, ihre eigene Mutter zu besuchen?«
»Sie kann doch nicht völlig gefühllos sein.«
»Als kleines Mädchen war sie manchmal wirklich
reizend, auch wenn das heute nur noch schwer zu glauben ist. Aber mit sechzehn
geriet sie völlig außer Rand und Band. Sie ist mit irgendeinem Kerl
durchgebrannt, und der hat ihr das Herz gebrochen. Als sie danach wieder nach
Hause kam, war es die Hölle auf Erden. Hat sie Ihnen davon erzählt?«
»Nein, hat sie nicht.«
»Kann ich mir denken. Über den Selbstmord ihres
Vaters und darüber, was für eine Hexe ich bin, kann sie reden ohne Punkt und
Komma. Aber sie selbst macht niemals einen Fehler. Schuld sind immer die
anderen. Sie würden sich wundern, wie viele Menschen sie schon aus ihrem Leben
verbannt hat, und zwar einzig und allein aus dem Grund, weil sie ihr lästig
wurden oder Dinge über sie hätten ausplaudern können, die sie lieber geheim
halten will. Darauf steht bei ihr nämlich die Todesstrafe.«
»Das meinen Sie doch sicher nicht wörtlich.«
»Kommt auf Ihre Definition an.«
»Lassen Sie uns mit ihren positiven Eigenschaften
anfangen.“
»Hat Sie Ihnen gesagt, dass sie jeden Menschen in
ihrem Umfeld ein Schweigeabkommen unterschreiben lässt?“
»Auch Sie?«
»Wollen Sie wissen, warum ich wirklich in so einem
Loch wohne? Weil ich mir ihre sogenannte Großzügigkeit nicht leisten kann. Ich
lebe von einer staatlichen Rente und einer betrieblichen Altersvorsorge, denn
ich bin immer berufstätig gewesen. Marilyn hat nie auch nur einen Finger für
mich krumm gemacht und besaß dann auch noch die Frechheit, von mir zu
verlangen, dass ich ein Schweigeabkommen unterzeichne. Sie hat gedroht, ich
wäre sonst ganz auf mich allein gestellt, wenn ich im Alter schwer krank werden
sollte. Ich habe nicht unterschrieben. Ich rede trotzdem nicht über sie, obwohl
ich eine ganze Menge zu sagen hätte.«
»Aber Sie sprechen jetzt mit mir.«
»Tja, das hat sie doch von mir verlangt. Sie hat
Ihnen meine Nummer gegeben, weil sie offenbar etwas im Schilde führt und es ihr
gerade in den Kram passt, wenn ich Ihre Fragen beantworte. Außerdem bin ich
ihre Achillesferse. Sie kann der Versuchung nicht widerstehen, zu erfahren, was
ich Ihnen so alles erzähle. Denn sie wird das nur als Bestätigung sehen.«
»Ich möchte, dass Sie es wenigstens versuchen«,
beginnt Benton.
»Stellen Sie sich vor, Sie würden ihr mitteilen, was
Sie an ihr mögen. Da muss es doch etwas geben. Zum Beispiel, dass Sie sie
immer für ihre Intelligenz bewundert haben. Oder dass Sie stolz auf ihren
Erfolg sind.«
»Auch wenn es nicht stimmt?«
»Falls Sie nichts Positives zu sagen haben, müssen
wir das Ganze leider abblasen.« Er hätte nichts
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