Totenbuch
durch eine Codenummer. Ihr Name wird
nirgendwo erwähnt.
»Der Bluttest wurde vor zwei Wochen durchgeführt,
die Tomographie vor einem Monat. Meine Tante hat es sich angeschaut und war
recht zufrieden. Allerdings muss man dabei dem Rechnung tragen, was sie in
ihrem Beruf sonst so zu Gesicht kriegt«, erwidert Lucy.
»Also bist du ihrer Ansicht nach noch nicht tot. Was
für eine Erleichterung. Wie geht es Kay?«
»Charleston gefällt ihr, aber ich bin nicht sicher,
ob sie dort so gut ankommt. Ich finde es in Ordnung ... tja, Orte mit miserablen
Ausgangsbedingungen wirken auf mich immer wie ein Ansporn.«
»Was für die meisten Orte zutrifft.«
»Schon gut: Lucy, die Spinnerin. Ich hoffe, das
Ganze bleibt weiterhin vertraulich. Doch ich gehe davon aus, denn als ich dem
Typen am Empfang meinen falschen Namen genannt habe, hat er nicht mit der
Wimper gezuckt. Ganz gleich, ob jetzt die Demokraten im Senat die Mehrheit
haben - der Datenschutz hierzulande ist ein Witz.«
»Lass uns lieber nicht über Politik reden.« Er
studiert ihren Laborbericht. »Weißt du, wie viele meiner Patienten die
Behandlung am liebsten aus eigener Tasche bezahlen würden, nur damit ihr Name
nicht in irgendwelchen Datenbanken landet?«
»Eine berechtigte Sorge. Denn ich würde
wahrscheinlich nicht mehr als fünf Minuten brauchen, um mich in deinen Computer
einzuhacken. Beim FBI dauert es vermutlich eher eine Stunde, aber die haben
sich sicher ohnehin schon Zugang zu eurem System verschafft. Ganz im Gegensatz
zu mir, weil ich es ablehne, ohne triftigen Grund die Bürgerrechte anderer
Menschen zu verletzen.«
»Das behaupten die auch.«
»Alles Lügner und Dummköpfe. Vor allem beim FBI.“
»Offenbar steht das FBI noch immer ganz oben auf
deiner Hass-Liste.«
»Schließlich hat es mich unter einem fadenscheinigen
Vorwand rausgeworfen.«
»Allein die Vorstellung, dass man gegen das
Heimatschutzgesetz verstößt und dafür auch noch bezahlt wird. Wenn es auch kein
Vermögen ist. Mit welchen Computeranwendungen verdienst du dich denn
inzwischen dumm und dämlich?«
»Datenmodelle. Das sind neurale Netzwerke, die Daten
aufnehmen und im Grunde genommen eine Intelligenzleistung erbringen wie das
menschliche Gehirn. Außerdem bastle ich an einem DNA-Projekt, das sich als
interessant erweisen könnte.«
»THS ausgezeichnet«, meint er. »Freie T-vier prima.
Das heißt, dass dein Stoffwechsel funktioniert. Doch das sehe ich auch ohne
Laborbericht. Du hast seit unserem letzten Treffen ein wenig abgenommen.«
»Etwa zweieinhalb Kilo.«
»Und offenbar hast du Muskelmasse zugelegt. Also
sind es insgesamt vermutlich eher fünf Kilo Fett und Wasser.“
»Gut ausgedrückt.“
»Wie oft treibst du Sport?“
»Unverändert.«
»Das werde ich mal als notwendig vermerken,
auch wenn du es wahrscheinlich übertreibst. Die Leberwerte sind auch in
Ordnung, also runter auf 2,4. Was ist mit der Periode?«
»Normal.«
»Und auch keine weiße, klare oder milchige
Absonderung aus den Brustwarzen? Nicht dass ich bei einem so niedrigen
Prolactinspiegel damit rechnen würde.«
»Nein. Keine falschen Hoffnungen: Ich lasse dich
nicht nachschauen.«
Grinsend macht er sich weitere Aufzeichnungen.
»Leider sind meine Brüste auch kleiner geworden.«
»Viele Frauen würden für deine Oberweite viel Geld
bezahlen. Sie tun es sogar«, entgegnet er.
»Sie sind aber nicht zu verkaufen. Inzwischen will
sie auch niemand mehr geschenkt.«
»Ich weiß, dass das nicht stimmt.«
Lucy ist es nicht mehr peinlich, über all diese
Themen mit ihm zu sprechen. Anfangs war das anders, und sie hat es als
schreckliche Demütigung empfunden, dass ein gutartiges Macroadenoma - ein
Gehirntumor also - eine Überproduktion des Hormons Prolactin ausgelöst und
ihrem Körper eine Schwangerschaft vorgegaukelt hat. Ihre Periode blieb aus. Sie
hat zugenommen. Sie litt zwar noch nicht an Milchabsonderung, doch ohne
Diagnose wäre es sicher bald so weit gewesen.
»Offenbar hast du zurzeit keine Beziehung.« Er nimmt
die MR-Filme aus den Umschlägen und schiebt sie in die Leuchtkästen.
»Nein.«
»Wie steht es um deine Libido?« Er dämpft das Licht
und schaltet die Leuchtkästen ein, sodass die Aufnahmen von Lucys Gehirn
sichtbar werden. »Dostinex wird nämlich auch als Sex-Droge bezeichnet.«
Lucy rückt näher heran und mustert die Aufnahmen.
»Gib dir keine Mühe. Ich lege mich nicht unters Messer, Nate.«
Bedrückt starrt sie auf die rechteckig geformte,
heller eingefärbte
Weitere Kostenlose Bücher