Totenbuch
-Schaltung. Bedienpaddel am Lenker. Rechts schaltet man
hoch, links runter, mit beiden gleichzeitig in den Leerlauf. Der Knopf da ist
für den Rückwärtsgang.« Sie bemerkt seinen ängstlichen Blick. »Gut, ich gebe
zu, dass es ein bisschen kompliziert ist«, meint sie, weil sie ihn nicht
demütigen will.
Er ist ein älterer Mann, vermutlich ein Rentner, der
aus lauter Langeweile als Parkwächter im Krankenhaus arbeitet. Vielleicht hat
er ja auch einen Krebspatienten in der Familie. Jedenfalls steht fest, dass er
vermutlich noch nie einen Ferrari aus der Nähe gesehen, geschweige denn einen
gefahren hat, denn er beäugt das Fahrzeug, als wäre es ein UFO. Anscheinend
lässt er lieber die Finger davon, was auch gut so ist, wenn er nicht mit einem
Auto umgehen kann, das mehr gekostet hat als so manches Eigenheim.
»Lieber nicht«, sagt der Parkwächter und beäugt
fasziniert die Lederausstattung und den roten Startknopf auf dem Lenkrad aus
Kohlefasern. Dann geht er hinten um den Wagen herum und mustert kopfschüttelnd
den durch die gläserne Haube sichtbaren Motor. »Ein tolles Auto. Wenn Sie mit
offenem Verdeck so richtig Gas geben, werden Sie in dieser schnellen Kiste
sicher ordentlich durchgepustet«, fügt er hinzu. »Ein Superschlitten, ich muss
schon sagen. Am besten parken Sie gleich da drüben.« Er zeigt ihr die Stelle.
»Der beste Parkplatz, den wir haben. Wirklich ein Superschlitten.« Noch ein
Kopfschütteln.
Lucy parkt und schnappt sich ihren Aktenkoffer und
die beiden großen Umschläge mit den Magnetresonanzfilmen, auf die das
schrecklichste Geheimnis ihres Lebens gebannt ist. Nachdem sie den
Autoschlüssel eingesteckt hat, drückt sie dem Parkwächter einen
Hundertdollarschein in die Hand. »Beschützen Sie ihn mit Ihrem Leben«, meint sie
verschwörerisch und zwinkert ihm zu.
Das Krebszentrum ist ein harmonisch gestalteter
Krankenhauskomplex, lichtdurchflutet, mit großen Fensterfronten und riesigen
gebohnerten Parkettflächen. Die Mitarbeiter hier, viele von ihnen Freiwillige,
benehmen sich ausgesprochen höflich. Bei Lucys letztem Termin hier saß eine
Harfenistin auf dem Flur und zupfte anmutig Time After Time. Heute
Nachmittag spielt dieselbe Dame What a
Wonderful World. Ein schlechter Scherz! Als
Lucy, die Baseballkappe tief in die Stirn gezogen und ohne jemanden anzusehen,
rasch weitergeht, wird ihr klar, dass es wohl auf der ganzen Welt kein Lied
gibt, das in ihr derzeit keine zynischen oder depressiven Gefühle auslösen
würde.
Die verschiedenen Abteilungen sind offen angelegt
und in aufeinander abgestimmten Erdtönen gestaltet. An den Wänden hängen
keine Gemälde, sondern Flachbildschirme, die beruhigende Naturszenen zeigen:
Bergwiesen, Herbstlaub, verschneite Wälder, riesige Redwoods und die roten
Felsen von Sedona. Dazu erklingen sanftes Bachgeplätscher, Regengeprassel,
Vogelgezwitscher und leises Windrauschen. Auf den Tischen stehen Blumentöpfe
mit echten Orchideen. Die Beleuchtung ist dezent. Die Wartezonen sind niemals
überfüllt. Als Lucy die Anmeldung von Abteilung C erreicht, ist die einzige
andere Patientin eine Frau, die eine Perücke trägt und Glamour liest.
Mit gedämpfter Stimme teilt Lucy dem Mann hinter dem
Empfangstresen mit, dass sie einen Termin mit Dr. Nathan Day - oder Nate, wie
sie ihn nennt - hat.
»Ihr Name bitte?« Ein Lächeln.
Leise nennt Lucy ihr Alias, worauf der Mann etwas in
seinen Computer eintippt, wieder lächelt und zum Telefon greift. Keine Minute
später öffnet Nate die Tür und winkt Lucy herein. Wie immer umarmt er sie.
»Schön, dich zu sehen. Du siehst spitze aus.« Auf dem Weg zu seinem Büro redet
er weiter.
Das Büro ist kleiner, als man es bei einem in
Harvard ausgebildeten Neuroendokrinologen, der als einer der besten seines
Fachs gilt, vermuten würde. Auf seinem vollgestellten Schreibtisch steht ein Computer
mit einem großen Monitor. Die Bücherregale quellen über, und an den Wänden
hängen Leuchtkästen, wo eigentlich die Fenster hingehören. Außerdem befinden
sich in dem Raum noch ein Sofa und ein Stuhl. Lucy reicht Nate die
mitgebrachten Unterlagen.
»Die Laborergebnisse«, erläutert sie. »Die Aufnahme,
die du dir beim letzten Mal angesehen hast. Und dazu die allerneueste.«
Er lässt sich hinter dem Schreibtisch nieder, sie
nimmt auf dem Sofa Platz. »Wann?« Er öffnet den Umschlag und liest ihre Akte,
von der kein Wort elektronisch gespeichert ist. Die Papiere bewahrt er in
seinem Privatsafe auf, nur zuzuordnen
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