Totenbuch
sie als Nächstes will und wie
viel Ärger sie dort machen wird.«
»Vermutlich fliegt sie nach New York«, meint Benton.
»Geben Sie mir Bescheid, wenn Sie mehr wissen.« Dr.
Maroni trinkt einen Schluck. »Das mit Lucy ist natürlich wirklich rein hypothetisch.«
»Selbst falls Josh sich verplappert hat, ist es doch
ziemlich weit hergeholt, dass sie anschließend mit Capitano Poma gesprochen
haben soll. Sie kennt ihn doch nicht einmal.«
»Wir müssen Dr. Seif im Auge behalten, wenn sie
abreist«, erwidert Dr. Maroni. »Sie wird uns sicher in Schwierigkeiten
bringen.«
»Was sollen diese geheimnisvollen Andeutungen? Ich
verstehe kein Wort«, beschwert sich Benton.
»Das habe ich auch schon gemerkt. Schade. Aber es
ist ja nicht weiter wichtig. Bald sind wir sie los. Und Sie sagen mir, wohin
sie will.«
»Nicht weiter wichtig? Wenn sie herausfindet, dass
jemand ihren Aufenhaltsort an Capitano Poma verraten hat, kann sie uns wegen
eines Verstoßes gegen die Datenschutzbestimmungen drankriegen und uns eine
Menge Ärger machen. Aber genau darauf legt sie es ja an.«
»Ich habe keinen Einfluss darauf, was er ihr erzählt
und wann. Schließlich sind die Carabinieri für die Ermittlungen zuständig.«
»Ich begreife noch immer nicht, was hier gespielt
wird, Paolo. Beim SCID-Gespräch hat sie mir von einem Patienten erzählt, den
sie an Sie überwiesen haben will«, sagt Benton gereizt. »Warum haben Sie mir
das verschwiegen?«
Die Fassaden der Häuser am Kanal sind in
Pastelltönen gehalten.
Wo der Putz abgeplatzt ist, tritt das Mauerwerk
hervor. Ein Boot aus lackiertem Teakholz fährt unter einer Brücke hindurch, die
so niedrig ist, dass der auf der Brücke stehende Kapitän sich fast den Kopf
anstößt. Er bedient die Krafthebel mit dem Daumen.
»Ja, sie hat einen Patienten an mich
weiterempfohlen. Otto hat mich auch danach gefragt«, erwidert Dr. Maroni.
»Gestern Abend haben ich ihm gesagt, was ich weiß. Zumindest die Einzelheiten,
über die ich sprechen darf.«
»Es wäre nett von Ihnen gewesen, mich ebenfalls zu
informieren.«
»Das tue ich doch gerade. Und ich hätte es auch
erwähnt, wenn Sie das Thema nicht zuerst angeschnitten hätten. Ich habe diesen
Patienten im letzten November im Lauf mehrerer Wochen einige Male gesehen«,
antwortet Dr. Maroni.
»Laut Dr. Seif nennt er sich Sandman. Kommt Ihnen
das bekannt vor?«
»Diesen Namen habe ich noch nie gehört.«
»So soll er seine E-Mails unterzeichnen«, fügt Benton
hinzu.
»Als sie mich im letzten Oktober im Büro anrief und
mich bat, diesen Mann in Rom zu empfangen, war von E-Mails keine Rede. Auch
dass er sich Sandman nennt, hat sie nicht erwähnt. Bei seinen Besuchen in
meiner Praxis ist dieser Name zumindest nie gefallen. Ich glaube, er war
zweimal bei mir in Rom. Wie ich betonen muss, hat nichts in mir den Verdacht
geweckt, dass er jemanden umgebracht haben könnte. Das habe ich auch Otto
erklärt. Deshalb müssen Sie Verständnis dafür haben, dass ich Ihnen weder seine
Krankenakte noch meine Aufzeichnungen zugänglich machen kann, Benton.«
Dr. Maroni greift nach der Weinkaraffe, um sein Glas
nachzufüllen. Die Sonne geht im Kanal unter. Durch die offenen Fensterläden
weht kühle Luft herein, und der Geruch nach Brackwasser lässt nach.
»Können Sie mir sonst noch irgendetwas über ihn
sagen?«, fragt Benton. »Wo kommt er her? Wie sieht er aus? Ich weiß nur, dass
er im Irak war.«
»Das geht beim besten Willen nicht, Benton. Ich habe
meine Unterlagen nicht hier.«
»Soll das heißen, dass vielleicht etwas Wichtiges
darin steht?«
»Hypothetisch«, erwidert Dr. Maroni.
»Wäre es vielleicht möglich, dass Sie nachsehen?«
»Ich habe sie nicht hier«, wiederholt er.
»Ist die Akte etwa verschwunden?«
»Ich wollte damit sagen, dass sie nicht in Rom ist«,
antwortet er und blickt hinaus auf die versinkende Stadt.
Viele Stunden später im Kick 'N Horse Saloon, dreißig Kilometer nördlich von Charleston.
Marino sitzt Shandy Snook am Tisch gegenüber. Sie
essen frittiertes Steak mit Brötchen, brauner Sauce und Maisgrütze. Als sein
Telefon läutet, wirft er einen Blick auf die angezeigte Nummer.
»Wer ist es?«, fragt sie und trinkt mit einem
Strohhalm einen Schluck von ihrer Bloody Mary.
»Warum kann man mich nicht einfach in Ruhe lassen?«
»Hoffentlich ist es nicht die, die ich meine«,
zischt sie. »Es ist sieben Uhr, verdammt. Wir essen.«
»Ich bin nicht da.« Marino drückt den Anruf weg und
gibt sich bemüht
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