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Totenbuch

Totenbuch

Titel: Totenbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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Luft dampft noch von dem Regenguss, der aus heiterem
Himmel angefangen und kurz darauf wieder aufgehört hat.
    Bull schleppt eine Leiter zu
einer Eiche, deren Krone den Großteil von Scarpettas Garten überspannt wie ein
Baldachin. Unterdessen füllt sie Blumenerde in die Töpfe und pflanzt Petunien,
Petersilie, Dill und Fenchel ein, weil sie Schmetterlinge anziehen. Den
pelzigen Ziest und den Beifuß setzt sie um, damit sie mehr Sonne abbekommen.
Der Duft von feuchter lehmiger Erde mischt sich mit dem scharfen Geruch nasser
Ziegel und von Moos, als sie sich ziemlich steif - die vielen Jahre, in denen
sie auf den harten Fliesenböden von Autopsiesälen stand, fordern ihren Tribut
- vor einen mit Steckpalmenranken überwucherten Backsteinpfeiler kauert, um das
Problem in Augenschein zu nehmen.
    »Wenn ich die Dinger rausreiße,
könnte ich den Stein beschädigen. Was meinen Sie, Bull?«
    »Das ist Backstein aus
Charleston, wahrscheinlich zweihundert Jahre alt.« Bull steht oben auf der
Leiter. »Ich ziehe später ein bisschen daran und sehe, was passiert.«
    Die Steckpalmenranken lassen
sich mühelos entfernen. Scarpetta füllt eine Gießkanne und versucht, nicht an
Marino zu denken. Wenn ihr Rose einfällt, wird ihr flau im Magen.
    »Bevor Sie kamen, ist ein Mann
auf einem Motorrad durch die Gasse gefahren«, berichtet Bull.
    Scarpetta hält inne und starrt
ihn an. »War es Marino?«
    Als sie von dem Besuch bei Rose
zurückgekehrt ist, war das Motorrad verschwunden. Offenbar hat er sich von zu
Hause den Ersatzschlüssel geholt.
    »Nein, Ma'am. Er war es nicht.
Ich stand gerade auf der Leiter, um die japanische Quitte zu stutzen. Deshalb
konnte ich über den Zaun schauen und den Motorradfahrer sehen. Er hat mich
nicht bemerkt. Vielleicht ist es ja nicht weiter wichtig.« Die Gartenschere
klappert. Seitentriebe fallen zu Boden. »Falls Sie belästigt werden, können Sie
es mir ruhig erzählen.«
    »Was hat der Mann dann getan?«
    »Er ist abgebogen und langsam
bis zur Hälfte der Gasse gefahren. Dann hat er kehrtgemacht. Er hatte so ein
Biker-Kopftuch auf, orange und gelb gemustert. Aber ich bin nicht ganz sicher.
Mit dem Auspuff seines Motorrads war irgendwas nicht in Ordnung. Er hat
geklappert und gekeucht, als würde er gleich den Geist aufgeben. Sie sollten
mir sagen, was los ist. Dann passe ich besser auf.«
    »Haben Sie ihn schon mal hier
gesehen?«
    »Dieses Motorrad würde ich
überall wiedererkennen.«
    Sie erinnert sich an Marinos
Worte von gestern Nacht, ein Motorradfahrer habe ihm gedroht, ihr könnte etwas
zustoßen, wenn sie nicht aus der Stadt verschwinden würde. Wer will sie nur so
dringend loswerden? Der hiesige Leichenbeschauer fällt ihr ein.
    »Was wissen Sie eigentlich über
unseren Leichenbeschauer Henry Hollings?«, fragt sie Bull.
    »Sein Bestattungsinstitut ist
schon seit dem Bürgerkrieg in Familienbesitz. Es ist das große Haus hinter der
hohen Mauer in der Calhoun Street, also nicht weit von hier. Mir gefällt der
Gedanke gar nicht, dass jemand Sie belästigen könnte. Außerdem ist Ihre
Nachbarin ziemlich neugierig.«
    Wieder schaut Mrs. Grimball aus
dem Fenster.
    »Sie beobachtet mich mit
Argusaugen«, fährt Bull fort. »Wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, hat
sie etwas Unfreundliches an sich und kann sicher recht unangenehm werden.«
    Scarpetta macht sich wieder an
die Arbeit. Irgendein Schädling hat sich über die Stiefmütterchen hergemacht,
erzählt sie Bull.
    »Wir haben hier öfter
Schwierigkeiten mit Ratten«, erwidert er. Es klingt irgendwie prophetisch.
    Sie untersucht die Blumen.
»Nacktschnecken«, lautet ihre Diagnose.
    »Sie könnten es mit Bier
versuchen«, schlägt Bull vor und lässt die Gartenschere klappern. »Dazu müssten
Sie nach Einbruch der Dunkelheit Untertassen aufstellen. Die Schnecken kriechen
rein, betrinken sich und saufen ab.«
    »Und das Bier lockt mehr
Nacktschnecken an, als man vorher hatte. Außerdem könnte ich kein Tier
ertränken.«
    Weitere Schösslinge fallen von
der Eiche. »Da drüben habe ich Waschbärenkot entdeckt.« Er deutet mit der
Schere in die entsprechende Richtung. »Vielleicht fressen die ja die
Stiefmütterchen an.«
    »Gegen Waschbären und
Eichhörnchen ist man machtlos.«
    »Natürlich ließe sich etwas tun,
aber Sie wollen ja nicht, weil Sie kein Tier umbringen können. Interessant,
wenn man bedenkt, was Sie von Beruf sind. Man müsste eigentlich meinen, dass
Sie da weniger Skrupel haben«, hallt seine Stimme vom Baum

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