Totenfeuer
stellen, auf die er jetzt noch verzichten kann. Sein Magen knurrt erneut.
»Möchten Sie ein Osterei? Es sind Bioeier, mit Pflanzenfarben gefärbt.«
Fernando nimmt dankend an und wählt ein zartgrünes Ei. Anna bringt einen Teller und den Salzstreuer. Ihre graugrünen Augen – exakt die Farbe des Ostereis, wie Fernando entzückt feststellt – sehen ihn beschwörend an, als sie sagt: »Ich glaube, meine Tante Martha steckt dahinter.«
»Hinter was?«
»Hinter dem Tod meines Großvaters. Und nun hat sie womöglich auch noch Papa auf dem Gewissen …«
Fernando holt tief Luft und hebt die Hand. »Jetzt mal ganz langsam. Noch wissen wir gar nichts über Ihren Vater. Aus welchem Grund sollte Ihre Tante denn gleich zwei Morde kurz nacheinander begehen?«
Sie zieht die Schultern hoch, aber statt einer Antwort schlingt sie die Arme um die Knie und schaut stumm zum Fenster hinaus. Im Hof gurren Tauben.
»Haben Sie eigentlich auch noch Verwandte mütterlicherseits?«, versucht Fernando sie abzulenken und hofft, während er das Ei pellt, dass wenigstens diese nicht auch schon gestorben sind.
»Zwei Tanten, die wohnen in Hessen. Da kommt meine Mutter her.«
Ihre Mutter. Verdammt, noch eine Tote. Dieses Mädchen hat es wirklich nicht leicht. Aus dem Streuer kommt zu viel Salz.
»Mein Vater starb, als ich dreizehn war«, erzählt Fernando, um zu zeigen, dass ihm ihre Lage nicht unvertraut ist. »Danach dachte ich, ich müsste die Familie ernähren, und habe allerhand krumme Dinger gedreht. Dass ich meiner Mutter dadurch noch mehr Schwierigkeiten gemacht habe, habe ich in meinem jugendlichen Eifer nicht bedacht.«
»Und trotzdem sind Sie Polizist geworden.«
»Ja, ich habe gerade noch die Kurve gekriegt. Es ist gar nicht schlecht, wenn man die andere Seite aus eigener Erfahrung kennt.«
Sie muss die Eier stundenlang gekocht haben. Der winzige Dotter – ist das typisch für Bioeier? – ist quasi mumifiziert und nur noch ein graugrünes Pulver.
»Was macht Ihre Mutter?«, will Anna wissen.
Das staubtrockene Ei verstopft ihm die Kehle, er muss mit Tee nachspülen, ehe er antworten kann: »Sie hat einen Laden in Linden, spanische Lebensmittel und Weine. Sie müssen mal vorbeikommen, dort gibt es die besten Tapas der ganzen Stadt.«
»Darf ich Sie was fragen?«
»Sicher.«
»Was betrachten Sie als Ihre Heimat, Spanien oder Deutschland?«
»Linden.«
Sie lächelt. »War nett von Ihnen, dass Sie mit raufgekommen sind.«
War das die Aufforderung an ihn, nun zu gehen? Es klang so. Verstohlen wirft er einen Blick zu ihr hinüber. Sie hält ihre Teetasse umklammert, schaut wieder geistesabwesend zum Fenster hinaus und wirkt dabei so verloren, als säße sie allein auf dem Grund eines Brunnens.
»Danke für den Tee. Sie können mich jederzeit anrufen.« Fernando legt seine Karte auf den Tisch neben die Zuckerdose und steht auf.
Sie sieht ihn an, als hätte er sie aus tiefem Schlaf geweckt. Dann lächelt sie. »Für einen Bullen sind Sie ganz nett.«
»Ach, noch etwas: Würden Sie mir den Schlüssel für das Haus Ihres Vaters überlassen? Nur für den Fall, dass …«
»Klar.« Sie geht voraus, macht das Licht im Flur an und holt den Schlüssel aus ihrer Jacke, die an einem Haken der Garderobe hängt.
Fernando ist ein paar Schritte weitergegangen und steht in der Tür zu einem großen, hellen Zimmer. Bis auf eine Lampe aus Japanpapier und ein klapprig wirkendes Bücherregal ist der Raum leer. Er ist groß, bestimmt an die dreißig Quadratmeter, und verfügt über zwei hohe Fenster, die nach Westen zeigen. Die Bodendielen haben ein paar Schrammen, und eine Wand ist in einem kitschigen Lila gestrichen. Ob der Haushalt wohl über einen vernünftigen DSL -Anschluss verfügt? Aber das ist vermutlich nicht der Moment für solche Fragen. Nur eine Sache muss unbedingt geklärt werden: »Suchen Sie eigentlich ausschließlich nach einer weiblichen Mitbewohnerin?«
»Nein. Mir ist jeder recht, der im Sitzen pinkelt. Warum, kennen Sie jemanden?«
Fernandos Handy klingelt, ehe er antworten kann. Es ist Oda. »Eine Streife hat gerade den Wagen von Roland Felk gefunden.«
»Wo?«
»Am Parkplatz vom Friedhof eines Ortes namens Linderte.«
Fernando wiederholt Odas Worte für Anna. »Können Sie damit was anfangen?«
Anna sieht ihn mit großen Augen an, dann nickt sie. »Ja. Von dort aus führt ein Weg den Wolfsberg hinauf. Mein Vater stellt dort manchmal den Wagen ab, wenn er ins Revier geht.«
»Welches Revier?«
»Er
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