Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Totenfeuer

Totenfeuer

Titel: Totenfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Mischke
Vom Netzwerk:
geht dort oben manchmal auf Pirschgang. Und weil er nicht mit der Waffe durchs Dorf laufen will, nimmt er den Wagen und stellt ihn dort ab.«
    »Ihr Vater ist Jäger?«
    »Ja. Sagte ich das noch nicht?«
    Veronika steht vor dem Spiegel im Flur und betrachtet sich kritisch von allen Seiten. Im Gegensatz zu Oda, deren Garderobe ausschließlich aus schwarzen Sachen besteht, bevorzugt Veronika in letzter Zeit kräftige Farben. Dieses eisblaue, viel zu weit ausgeschnittene Etwas betont die Farbe ihrer Augen, die sie noch immer gerne dick schwarz umrahmt. Aber bis auf einen kleinen Ring am Ende der rechten Augenbraue ist ihr Gesicht inzwischen frei von Metall, und auch ihre Ohren sehen nicht mehr aus wie eine Gardinenstange.
    »Wo geht’s denn hin?«, erkundigt sich Oda.
    »Weiß noch nicht.« Sie nimmt die Bürste, fährt sich durch ihr Haar und schüttelt dann den Kopf wie ein nasser Hund.
    »Sag mal, was macht dieser Jo eigentlich, ich meine, außer Musik – davon kann er doch nicht leben, oder?«
    Veronika legt die Bürste weg, stemmt die Hände in die Seiten und sieht ihre Mutter vorwurfsvoll an. »Was ist denn das jetzt für eine Frage?«
    »Wieso? Das ist eine ganz normale Frage.«
    »Das ist eine Muttifrage«, meint Veronika verächtlich und zieht sich ihre Lippen purpurrot nach.
    »Gut, dann ist es eben eine Muttifrage. Mutti ist eben daran interessiert, mit wem ihre Tochter des Nachts um die Häuser zieht«, antwortet Oda und bemüht sich um einen lockeren Tonfall.
    »Drogenhändler.«
    »Wie bitte?«
    »War ein Scherz.«
    »Sehr witzig.«
    »Er hat keinen festen Job. Ab und zu gibt er Gitarrenunterricht. Hey, ich will ihn nicht heiraten, ja?«
    »Hoffentlich«, entfährt es Oda, was sie sofort bereut, denn schon braust Veronika auf.
    »Immer hast du was gegen meine Freunde. Mal sind sie dir zu schwarz angezogen – dabei solltest du mal selbst in den Spiegel gucken –, mal schnappst du dir meinen Typen selber …«
    »Augenblick mal!«, unterbricht Oda ihre Tochter. »Diese Gruftis findest du ja inzwischen selber lächerlich, und was Daniel angeht – er war nie dein Typ. Er war dein Regisseur beim Jugendtheater und eine pubertäre Schwärmerei, nichts weiter, das hast du doch selbst eingesehen.«
    »Ja, Mama.«
    »Ich habe nichts gegen Jo, ich wollte nur wissen, was er so macht.«
    »Ja, Mama.«
    »Hör schon auf mit diesem blöden ›Ja, Mama‹.«
    »Schön, Mama. Du hast gefragt, und ich habe es dir gesagt. Kann ich jetzt gehen?«, fragt Veronika schnippisch. »Sonst verpasse ich den Bus.«
    »Ich wollte dich nicht aufhalten«, antwortet Oda kühl.
    »Ciao.«
    Die Tür fällt ins Schloss, Oda lehnt sich gegen die Wand und ballt die Fäuste. Verdammt! Genau so hätte es nicht laufen sollen, genau so nicht! Wie kriege ich das nur immer hin? Ich habe ein Diplom in Psychologie, ich finde bei fast jedem Zeugen oder Verdächtigen auf der Dienststelle den richtigen Ton, aber nie bei meiner eigenen Tochter. Warum nur müssen Veronika und ich ständig aneinandergeraten? Und wenigstens könnte sie ihre Haarbürste wieder ins Bad … Oda stutzt. Haare … Lieber Himmel, Oda, das kannst du doch nicht machen! Und warum nicht? Vertrauen ist bekanntlich gut, aber Kontrolle noch besser. Dann hätte sie Gewissheit, und zwar ohne Fragen, ohne Streit. Sie holt einen Gefrierbeutel aus dem Küchenschrank und zupft ein paar lange Haare aus den Borsten. Den Beutel verschließt sie und packt ihn in ihre Handtasche. Sie kann sich das ja bis morgen noch einmal überlegen.
    Die Tagesschau ist zu Ende, doch Jule hat nicht ein Wort vom Weltgeschehen an diesem Ostermontag mitbekommen. Sie starrt auf ihr Handy, das vor ihr auf dem Couchtisch liegt und sie seit Stunden anschweigt. Wenigstens eine SMS könnte er schicken, verdammt! Geduld! Vielleicht muss er noch seinen Sohn ins Bett bringen, vielleicht hat er danach Zeit, mich wenigstens anzurufen, wenn er schon nicht kommt.
    Wie hat Oda seinerzeit zu ihr gesagt: »Genieße es, solange es dauert.« Aber wenn sie ehrlich ist – ein Genuss war es nie. Sicher, es gab einige Glücksmomente, doch der Rest ist Warten, Grübeln, Hoffen, Heulen, Sichbetrinken. Auch jetzt hat sie bereits die halbe Flasche geleert, die sie eigentlich mit Leonard zusammen trinken wollte. Ich werde noch zur Alkoholikerin. Was diese Affäre betrifft, hat ausnahmsweise einmal Fernando, ausgerechnet Fernando, recht behalten, der damals meinte, sie sei nicht der Typ für so etwas.
    Okay, Jule, du machst jetzt

Weitere Kostenlose Bücher