Totenfeuer
nimmt dir das aber niemand übel«, stichelt Fernando.
»Außerdem finde ich, zu einem Naturheilkundler, der sich mit Reiki und Channeling befasst, passt es irgendwie nicht, dass er gleichzeitig Jäger ist.«
»Stimmt. Das habe ich Anna auch gefragt, wie das zusammengeht.«
»Und?«, fragt Jule gespannt.
»Zum einen ist er damit aufgewachsen, der Großvater ging auch zur Jagd, zum anderen hat er sich darauf berufen, dass die Jagd eine der ältesten Nahrungserwerbsquellen der Menschheit ist und deshalb etwas Natürliches.«
»Schon, aber dann müsste er mit Pfeilen und Speeren jagen und nicht mit Gewehren«, entgegnet Jule und ereifert sich: »Das stört mich so an diesen selbsternannten Gurus, dass sie sich ihre Heilslehre zusammenbasteln, wie es ihnen gerade gefällt. Hier eine Prise Buddhismus, dort eine Portion Naturreligion, Schamanentum und Feng-Shui kriegen wir auch noch unter, dann wird das Ganze gut durchgerührt und abgeschmeckt mit Tarot und irgendwelchem Engelskram, und damit zocken sie dann naive Gemüter ab, für die das reale Leben keine Perspektiven mehr …«
»Pscht! Hör mal!« Fernando, der eben losfahren wollte, bleibt am Straßenrand stehen und dreht das Radio laut.
… eine wichtige Durchsage vom Verkehrs-Kai für alle Hit-Radio-Antenne-Hörer, die im Raum Wennigsen und Springe unterwegs sind. Dort ist ein Schafbock entlaufen, um erhöhte Vorsicht auf den Straßen am Deister wird gebeten. Falls jemand, der dort wohnt, den Schafbock sieht, möchte derjenige bitte die Polizei verständigen. Keinesfalls sollten Sie versuchen, das Tier selbst einzufangen, der Bock ist nämlich bewaffnet – mit Hörnern, haha. Also Vorsicht, liebe Antenne-Hörer …
Jule und Fernando sehen sich an und brechen gleichzeitig in Gelächter aus.
»Hoffentlich passiert dem Biest nichts, sonst wird der Alte tagelang eine Scheißlaune haben«, befürchtet Fernando.
»Wenn man vom Teufel spricht!« Jule wirft einen Blick in den Rückspiegel. Hinter ihnen blinken die Scheinwerfer von Völxens französischer Staatskarosse auf, die gleich darauf neben ihnen zum Stehen kommt. Das Seitenfenster fährt herunter.
»Was steht ihr hier herum? Fahrt mir nach, die Spurensicherung hat was gefunden.«
»Man ist ja geneigt, das Böse in der Großstadt zu vermuten und das Gute, das Unschuldige auf dem Land. Von einer Landbäckerei erwartet man das bessere Brot, bei Landeiern denkt man an glückliche Hühner. Es gibt Lifestylemagazine, die das schöne Landleben beschwören, aber ich meine, ob Stadt oder Land, es kommt auf die Menschen an, und Menschen mit großen emotionalen Störungen findet man überall. Ich habe Roland vorgeschlagen, doch in die Stadt zu ziehen, aber er sagte: ›Ich liebe das Land, ich bin dort aufgewachsen, und dort sterbe ich.‹ Und nun ist es tatsächlich so gekommen.«
Die Stimme des Chinesen ist angenehm, sein Tonfall hat etwas Einschläferndes, aber das Beste sind seine Hände! Sie liegen kaum spürbar und doch ausgesprochen wohltuend auf Odas Rücken, wie Wärmflaschen, nur leichter, besser, eine tiefe, durchdringende Wärme geht von ihnen aus.
»Geht es Ihnen gut?«
»Wunderbar«, seufzt Oda, ehe sie sich wieder von Tian Tangs Stimme einlullen lässt.
»Sie werden den Menschen finden, der das getan hat, Sie sind gewissenhaft, eine gute Polizistin mit einem kritischen Verstand und Weisheit im Herzen. Aber Sie haben zurzeit große Sorgen, das sehe ich in Ihrem energetischen Informationsfeld, ich kann die Schwächen Ihrer Aura erspüren. Ich könnte mental darauf zugreifen, um die Ursache zu ergründen, aber nur, wenn Sie das wollen.«
»Ach, lassen Sie nur. Ich stehe zu meinen energetischen Schwächen.«
»Schon in unserer vorgeburtlichen Phase bauen wir Energiemuster auf, die durch unsere Geburt hindurch und im nachfolgenden Leben Wirkung zeigen. Deshalb arbeite ich in verschiedenen Phasen, sowohl in diesem Leben als auch in der vorgeburtlichen Phase und in vorherigen Leben.«
»Meine vorherigen Leben sind mir egal, mir reicht schon mein jetziges«, erklärt Oda träge. Auch wenn Herr Tang einen fürchterlichen Stuss daherredet, Oda mag seine Stimme, dieses sexy Kratzen. Ihretwegen könnte er seinen Vortrag auch in Sanskrit halten oder auf Chinesisch. Das wäre sogar noch besser. Aber seine Hände sind wirklich genial. Oda hat das Gefühl, als würde sie sich unter diesen Händen, von denen sie nicht einmal sicher ist, ob sie sie tatsächlich berühren, einfach auflösen. Jedenfalls schmelzen
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