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Totenfluss: Thriller (German Edition)

Totenfluss: Thriller (German Edition)

Titel: Totenfluss: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chelsea Cain
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den Boden um ihn herum.
    Sie hätte die Hand beinahe übersehen. Das Gehirn hat so eine Art, alles erklären zu wollen und Dinge zu ignorieren, die keinen Sinn ergeben.
    Bis sie verarbeitet hatte, was sie eben gesehen hatte, war sie mit dem Licht bereits weitergegangen und musste umkehren.
    Eine Hand, die Handfläche nach oben, die Finger gekrümmt.
    »Claire?«, schrie Susan.
    Claire kam gerannt.
    Susans Minitaschenlampe war weiter auf die dicken Finger gerichtet, die hinter dem Stein hervorlugten. Die Finger eines Mannes.
    »Hallo?«, rief Susan zögerlich in Richtung der Finger. Sie war starr vor Angst, traute sich nicht, näher zu gehen, fürchtete sich vor dem, was sie vielleicht sehen würde.
    Claire vergeudete keine Zeit. Sie krabbelte die Böschung hinauf und kniete neben dem Stein nieder. »Es ist Henry«, sagte sie. »Er atmet nicht.«
    Susan konnte hören, wie Claire nach einem Rettungswagen telefonierte, aber sie konnte sich nicht bewegen. Sie wollte nicht da hinaufgehen. Sie wollte Henry nicht so sehen. Er war ein starker Mann.
    Atmet nicht.
    Wie hatte es Robbins genannt?
    Atemlähmung.
    »Helfen Sie mir«, sagte Claire. »Schnell, Susan.«
    Susan erwachte aus ihrer Erstarrung und eilte die Böschung hinauf. Henry lehnte zusammengesunken an der Rückseite des Steins, den Kopf auf der Brust. Seine Kleidung war durchnässt. Regenwasser perlte von seinem Gesicht. Aus der Ferne sah es wahrscheinlich aus, als schliefe er. Aus der Nähe betrachtet wirkte es dauerhafter.
    »Wir müssen ihn flach hinlegen«, sagte Claire. Sie weinte und wischte sich mit dem Ärmel den Rotz von der Nase.
    »Was soll ich tun?«, fragte Susan.
    »Nehmen Sie seine Beine.«
    Claire bekam die Arme hinter Henry und unter seine Achseln, Susan zog seine Beine gerade, und es gelang den beiden, ihn in eine lang gestreckte Position zu bringen.
    »Beherrschen Sie Wiederbelebung?«, fragte Claire.
    Susan hatte es für ihre Babysitter-Bescheinigung in der Highschool gelernt, aber im Augenblick stand sie völlig ratlos da. »Nicht wirklich«, sagte sie.
    Claire öffnete den Reißverschluss von Susans Jacke und packte Susans Hände. Sie legte den Handballen von einer auf Höhe der Brustwarzen auf Henrys Brustbein und platzierte Susans andere Hand darüber.
    »Drücken Sie«, sagte Claire schnell. »So.« Sie stieß Susans Hände nach unten. »Fünf Zentimeter. Sie sollten mit einem Tempo von hundertmal pro Minute pumpen, also machen Sie es schnell. Schneller als einmal pro Sekunde. Zählen Sie. Und wenn Sie bei dreißig sind, stoppen Sie, damit ich ihn beatmen kann.« Sie beugte sich über Archies Gesicht, hielt ihm die Nase zu und legte ihren Mund auf seinen. Dann atmete sie aus. Anschließend drehte sie den Kopf zur Seite und lauschte kurz an seinem Mund. Sie wiederholte das Ganze. »Los jetzt«, sagte sie zu Susan.
    Susan begann zu pumpen. Fünf Zentimeter. »Eins«, zählte sie, »zwei, drei, vier …«
    Der kalte Schlamm drang durch die Knie ihrer Jeans. Sie pumpte immer weiter. Sie blickte nicht auf. Sie wollte Henrys Gesicht nicht sehen.

12
    Archie war von Heizdecken aus Gummi eingehüllt, die wie übergroße Badewannenmatten aussahen. Das Gefühl war in Hände und Füße zurückgekehrt. Sein Körper war steif, aber er war klar im Kopf.
    Er befand sich in einem Einzelzimmer in der Notaufnahme des Emanuel Hospital. Den Jungen hatte es schlimmer erwischt als ihn. Sie hatten ihn irgendwohin gebracht, um warmes Blut in ihn zu pumpen oder so. In seinem Zimmer gab es keine Uhr, ein geschickter Schachzug, damit die Patienten im Unklaren darüber blieben, wie lange sie warten mussten. Aber Archie war der letzte Mensch auf der Welt, der noch eine Armbanduhr trug. Falls die Uhr nach dem Bad im Willamette noch funktionierte, war es 21.00 Uhr. Er war seit mehr als einer Stunde in der Notaufnahme.
    Die Ärzte hatten bereits ihre Absicht kundgetan, ihn über Nacht dazubehalten. Regelmäßig kam jemand herein und überprüfte seine Vitalfunktionen und die Temperatur der Decke. Nach dem ersten Blick auf seine Krankengeschichte begann die Schwester, ihn mit Sorge zu betrachten. Gretchen hatte ihm die Milz entfernt. Seine Leber war von den Tabletten geschädigt. Er hatte gesehen, wie die Krankenschwester große Augen machte, als sie die Decke zurückschlug und seine Narben sah. Und das war nur die Spitze des Eisbergs.
    Er war allein. Noch mehr allein als sonst. Debbie war immer noch als die zu verständigende Person in Notfällen angegeben, aber er hatte

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