Totenfrau
ihr zwischen den beiden. Blum allein an seinem Schreibtisch. Egal was Dunja mitgemacht hat, egal ob es nur Mitgefühl war, Blum will es nicht. Dunja in seinen Armen, ihre Tränen, die er trocknet. Mark.
Dunja. Diese Frau. Wie Blum mit langen Schlucken den Wein leert. Warum ist sie plötzlich einfach da, warum konnte da nicht nur der Wein sein und sein Schreibtisch, warum musste sie neugierig sein, warum konnte sie das Telefon nicht einfach auf die Grundeinstellungen zurücksetzen und es irgendwo im Internet verkaufen. Ohne zu stöbern. Warum nicht? Warum muss sie sich jetzt über etwas Gedanken machen, das jegliche Vorstellungskraft übersteigt. Warum? Warum jetzt? Warum kann sie nicht einfach kurz glücklich sein, einen Abend lang nur? Warum nicht? Warum ist seine Stimme so schön, warum kann sie nicht aufhören, ihm zuzuhören? Warum hört es nicht auf, wehzutun?
Die ganze Nacht lang. Dunja und Mark. Bis die Sonne aufgeht. Bis sich das Rad wieder weiterdreht und sie herausreißt aus seinem Leben. Wie sie benommen die Tür zu seinem Arbeitszimmer absperrt und sich in ihr Bett legt. Wie sie wartet, bis die Kinder kommen und sich zu ihr legen, sich an sie schmiegen. Wie jeden Morgen verkriechen sie sich unter der Decke, wie jeden Morgen nimmt sie sich Zeit, sie zu berühren. Liebe für Uma and Nela. Und ein pochendes Herz in ihrer Brust. Weil da dieses Telefon auf seinem Schreibtisch ist.
9
Eine Ducati Monster 900. Das Motorrad, für das Mark Brandreden gehalten hat, seine zweite große Liebe nach Blum, ein Prachtstück. Das Schnurren des Motors, von dem er stundenlang schwärmen konnte, das Rasseln, dieses unverwechselbare Geräusch, das für ihn wie Musik war. Mark hat es geliebt, schnell zu fahren, egal ob es verboten war, immer noch schneller über die Autobahn, über Landstraßen, egal ob sich Blum Sorgen gemacht hat, er musste es tun. Er wollte sich spüren, den Fahrtwind, die Straße. Ich kann nicht anders. Ich komme wieder, mein Schatz, mach dir keine Sorgen. Ist doch alles halb so schlimm, du übertreibst, meine Blume . Er konnte Blum nur schwer beschreiben, was ihn so faszinierte, seine Monster 900, sein Baby. Ein wunderschönes Motorrad, das nun zwei freundliche Herren vom Anhänger laden.
Wie schön es dasteht und in der Sonne glänzt. Genauso wie es war, bevor es in Stücke zerbrach. Neu, einfach ersetzt von der Versicherung. Massimo hat sie gefragt vor zwei Wochen, was sie tun wolle, ob sie das Geld wolle oder ein neues Motorrad. Ob die Versicherung es ersetzen solle. Blum hat einfach Ja gesagt, gedankenverloren hat sie Massimo gebeten, sich um alles zu kümmern. Irgendwann kam dann der Anruf, dass es geliefert wird. Sein Motorrad. Jetzt ist es wieder da. Fast so wie seine Stimme. Es steht vor der Villa, fast glaubt sie, Mark kommt gleich durch die Tür in den Garten und steigt auf. Fast. Blum gibt den Männern Trinkgeld und setzt sich auf die Bank. Von der Bank aus hat man alles im Blick, die Kinder, das Tor zur Straße, das Motorrad. Blum sitzt einfach da und denkt nach, über das, was in der Nacht passiert ist. Über Mark und Dunja, über das, was ihr passiert sein soll. Wie unglaublich das alles ist. Was sie erzählt hat, was sie erlebt hat, woran Mark geglaubt hat. Er hat es in ihren Augen gesehen. Auch wenn der Psychiater Wahnvorstellungen diagnostiziert hat, Mark hat es in ihren Augen gesehen.
Still auf der Bank. Sie möchte weinen. Sie will in den Arm genommen werden, sie möchte zurück in sein Arbeitszimmer, sie möchte verstehen, was passiert ist. Was sie gesagt hat. Dunja. Nüchtern möchte sie alles noch einmal hören, alle Gespräche. Es ist wie ein Traum, an den sie sich nur vage erinnern kann, ein Albtraum, den sie von sich geschoben hat. Blum will nicht daran glauben, dass es wahr ist, was diese Frau erzählt hat, sie will, dass Mark Unrecht hatte, dass es tatsächlich Wahnvorstellungen waren. Mehr nicht, nur beängstigende Phantasien einer Drogenabhängigen. Nichts davon ist wahr. Es darf nicht wahr sein. Nichts davon. Gar nichts. Weil es nicht noch schlimmer werden darf. Weil die Sonne scheint. Weil die Kinder schaukeln. Weil Karl seit Wochen zum ersten Mal wieder in den Garten kommt.
Karl. Er hat kaum gesprochen, seit Mark tot ist. Er hat sich zurückgezogen in den zweiten Stock, tagelang hat er in seinem Ohrensessel gesessen und geweint. Auch die Kinder konnten ihn nicht trösten, er hatte darum gebeten, in Ruhe gelassen zu werden, er wollte allein sein. Nur weil Reza darauf
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