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Totenfrau

Totenfrau

Titel: Totenfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Aichner
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bei der Teestube, sie hat Essen bekommen dort. Sie sind zu dem Hotel gefahren, sie haben weitergeredet. Mark hat nicht lockergelassen, aber da kam nichts. Kein Anhaltspunkt darüber, wie es die Männer geschafft hatten, sie aus ihren Betten zu entführen. Dunja hatte keine Ahnung. Wenn es jemand darauf angelegt hätte, wäre es jedem möglich gewesen, das Personalhaus zu betreten, auch jeder Tourist hätte praktisch ungehindert zu den Zimmern der Bediensteten vordringen können. Die Eingangstür war immer offen, niemand wäre auf die Idee gekommen, dass etwas passieren könnte. Deshalb klang es auch so unglaubwürdig, so unwahrscheinlich. Dass jemand sie bewusstlos gemacht und aus dem Haus geschafft hatte. Drei erwachsene Menschen, entführt aus einem Hotel, einfach so, ohne dass jemand etwas bemerkt hatte. Vor fünf Jahren. Mitten in der Nacht in Sölden. Eine Tourismushochburg im Winter. Es wird gefeiert, man tummelt sich auf den Pisten und in den Boutiquen, die Hotels versuchen, sich gegenseitig zu übertreffen. Tiroler Charme wird verkauft, in Holzstuben werden Kaviar und Champagner serviert, an den Après-Ski-Bars wird gesoffen. Viel und ausgelassen. Blum kennt das, sie war mit Mark dort zum Skifahren, sie haben Tequila getrunken und zu sinnentleerten Liedern getanzt. Sölden ist wie jeder andere Tiroler Tourismusort. Dass dort jemand auf die Idee kommen sollte, Menschen zu entführen, daran würde jeder zweifeln. Mark hat es nicht getan. Blum tut es auch nicht.
    Warum sie sich in seine Arbeit mischt, warum sie sich dafür interessiert? Sie kann nicht anders, irgendetwas in ihr zwingt sie dazu. Sie muss dem nachgehen, sie kann nicht einfach still sitzen, so tun, als hätte sie nichts mitbekommen. Da draußen ist eine Frau, die Angst hat. Eine Frau, die man entführt und fünf Jahre lang eingesperrt hat. Vergewaltigt hat. Misshandelt. Was Blum gehört hat, lässt sie keine Minute daran zweifeln, dass es nun ihre Aufgabe ist, herauszufinden, ob es wahr ist. Ob Mark etwas Großem, Schrecklichem auf der Spur war. Warum sollte ich so etwas erfinden?, hat Dunja gesagt. Blum will es wissen. Und sie will, dass Uma endlich ihre Nudeln isst, sie will, dass Nela aufhört, sich Tomaten ins Gesicht zu reiben. Sie will nicht mehr an das denken, was sie gehört hat. Dass Ilena schwanger war. Dass sie geschrien hat.
    Ilena, Youn, Dunja. Und fünf Männer, die immer wieder kamen, um ihren Spaß zu haben. Um ihnen wehzutun. Blum will nicht mehr daran denken. Keine Sekunde mehr, während die Mädchen vor ihr sitzen, unschuldig, lächelnd. Keine Sekunde mehr daran denken, was sie gehört hat. An diese Gespräche, die Aufnahmen, an Marks Fragen, an Dunjas Antworten. Keine Sekunde mehr will sie es. Doch es geht nicht weg, es bleibt da, es geht einfach nicht weg, sie kann an nichts anderes mehr denken. An nichts sonst mehr. Da ist nur noch die ganze lange Geschichte. Von Sölden bis zur Autobahnraststation in der Nähe der italienischen Grenze. Alles, was passiert ist, es geht nicht weg, es ist einfach da. Und es bleibt, den ganzen Tag lang, die Nacht, die nächsten Tage, immer. Dunja.

12

Blum spürt den Schmerz nicht mehr, dieses Gefühl, das sie drei Wochen lang zerfressen hat von innen, diese Sehnsucht nach ihm, die sie fast zerdrückt hat. Dieses Gefühl ist nicht mehr da, da ist nur noch Dunja. Und Mark. Irgendwie ist es so, als wäre er wieder am Leben, sie teilt etwas mit ihm, sie hat etwas entdeckt, von dem sie nichts gewusst hat. Etwas, das er verborgen hielt. Mark, ihr Mann, ihre Liebe, der Vater ihrer Kinder. Er lebt weiter. In den Gesprächen, die sie sich anhört, während sie durch die Stadt fährt und sie sucht. Dunja, eine Fremde, eine Frau ohne Gesicht. Blum kennt nur ihre Stimme, sie weiß nicht, wie sie aussieht, nur, dass sie aus Moldawien kommt. Blum weiß, dass sie außerordentlich gut Deutsch spricht, dass sie auf der Straße lebt, irgendwo unter der Autobahn. Dunja. Eine Frau ohne Nachnamen, die plötzlich alles verändert hat. Blums Alltag, nichts mehr ist so wie noch vor ein paar Tagen. Alles ist in Bewegung, alles verändert sich.
    Kein Wort zu niemandem. Sie hat beschlossen, noch zu schweigen, zuerst will sie mit ihr reden. Dann erst wird sie zu Karl gehen oder zu Massimo, sie wird sie um Hilfe bitten. Wenn es wahr ist. Wenn sie es tatsächlich schafft, sie zu finden. Innsbruck ist nicht groß, doch wenn man es darauf anlegt, nicht gefunden zu werden, kann es schwierig werden. Blum stellt sich darauf ein,

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