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Totenfrau

Totenfrau

Titel: Totenfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Aichner
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lange zu suchen, die Mitarbeiter der Teestube und des Mittagstisches im Servitenkloster können ihr nicht weiterhelfen. Niemand kennt eine Dunja, der Name sagt keinem etwas. Auch die Obdachlosen, mit denen Blum redet, wissen nichts von ihr. Selbst Geld bringt sie nicht dazu, ihr zu sagen, wo sie suchen muss. Keine Spur von ihr, keine Ahnung, nichts. Es bleibt ihr nichts anderes übrig, als die Stadt nach ihr abzusuchen, die Parks, die Plätze unter den Brücken, unter der Autobahn. Seit Stunden fährt sie herum, seit Stunden spaziert sie, spricht mit Menschen, von denen sie sich Hilfe erhofft. Doch nichts. Keine Dunja. Keine Moldawierin mit fast akzentfreiem Deutsch. Nichts von ihr. Drei Tage lang nicht.
    Dann plötzlich ist sie da. Eine schlanke Frau in alten Kleidern. Für Blum nur eine Frau von vielen. Sie ist zu schön, sie strahlt zu sehr, als dass sie obdachlos sein könnte. Blum und Dunja. Sie sind im Supermarkt, Dunja trägt eine Tasche mit Pfandflaschen, sie will sie eintauschen, aber der Automat funktioniert nicht. Die Verkäuferin kommt und nimmt ihr die Flaschen aus der Hand, sortiert sie in Kisten ein und schreibt einen Zettel. Immer noch ist alles unverändert, Blum ist auf der Suche, Blum ist kurz davor aufzugeben, sie hat jeden Winkel der Stadt abgesucht, sie war in allen Löchern, in denen man sich verkriechen kann. Dunja war nicht da. Dunja war verschwunden. Nun steht sie neben ihr.
    Dunja nimmt der Verkäuferin den Pfandzettel aus der Hand, Blum legt die Reisnudeln, die sie aus dem Regal genommen hat, in den Wagen und geht weiter. Sie sieht nicht mehr, wie Dunja ihren Kopf schüttelt und den Mund aufmacht, sie kann es nur hören, wie die Fremde die Verkäuferin noch einmal bittet nachzurechnen. Fünfzig Cent fehlen, sagt sie. Die Verkäuferin will weiter, sie will nicht nachrechnen, sie ist überzeugt, dass alles seine Richtigkeit hat. Doch die vertraute Stimme hört nicht auf, die fünfzig Cent einzufordern. Blum dreht sich um. Wegen fünfzig Cent solle sie doch bitte kein Theater machen, sagt die Verkäuferin. Doch Dunja besteht darauf. Höflich fordert sie ihre fünfzig Cent ein. Laut und bestimmt bringt sie die Verkäuferin dazu, den Betrag auf dem Pfandzettel zu ändern. Laut und deutlich ist da diese Stimme, die Blum seit drei Tagen gesucht hat.
    Ihr Gesicht, ihr Körper, ihre Augen. Blum schaut Dunja an. Sie hat sie sich anders vorgestellt. Verletzter, verwundet. Nach allem, was sie gehört hat, muss diese Frau am Boden zerstört sein, es dürfte nichts mehr von ihr übrig sein, kein schöner Zug mehr in ihrem Gesicht, kein Funke Hoffnung. Nichts aber in ihrem Gesicht verrät, was passiert ist, kurz zweifelt Blum, ob es tatsächlich ihre Stimme ist. Kurz nur. Aber dann ist sie sich sicher, sie ist es, Dunja. Blum weiß es, kein Zweifel, sie folgt ihr. Wie sie durch den Markt geht, zielstrebig zur Kasse, wie sie der Kassiererin den Pfandzettel hinstreckt, ihr Geld nimmt und geht. Blum hinter ihr her, ihren Einkaufswagen hat sie stehen lassen, sie darf sie nicht verlieren, sie muss sie ansprechen, ihr folgen.
    Blum geht einfach, sie hat keine Zeit zu überlegen, Dunja ist schnell, sie überquert den Parkplatz und läuft zum Ufer des Inn. Die Promenade entlang mit schnellem Schritt, Blum knapp hinter ihr, sie muss jetzt alles richtig machen, sie wird sie ansprechen. Es könnte an keinem besseren Platz passieren, es sind fast keine Menschen hier. Einen Moment noch atmen, überlegen. Alles geht so schnell. Eben wollte Blum noch aufgeben, jetzt ist sie am Ziel. Bei der Fußgängerbrücke wird sie Dunja ansprechen. So lange hat sie noch Zeit, um die Bilder zu verwerfen, die plötzlich in ihr aufsteigen. Eifersucht nagt von einem Moment zum anderen in ihr. Überall spürt sie es, ihr Herz schreit wieder, der Schmerz ist wieder da. Alles tut weh. Die Vorstellung, dass er mit einer anderen Frau zusammen war. Dass er sich vielleicht verliebt hat in sie. Mark und Dunja, wie sie nebeneinander über die Promenade gingen. Wie sie vertraut auf einer Bank saßen und miteinander redeten. Wie sie sich ihm öffnete, ihm alles anvertraute, ihr Innerstes vor ihm ausbreitete. Sie nackt vor ihm war. Blum sieht es vor sich. Wie er seinen Arm um sie legte. Um die fremde schöne Frau. Sein Verständnis, seine Güte, sein Drang zu retten. Diese Vorstellung tut weh, die Szenarien, die sie sich mit jedem Schritt ausmalt. Blum will nicht mehr mit dieser Frau reden, Blum will, dass sie verschwindet. Dass sie weggeht.

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