Totenfrau
Einfach weitergeht. Blum bleibt stehen. Und schließt die Augen.
Nichts mehr sehen, nichts spüren. Nicht wissen, ob sie das kann, dieses Leben, alles, Dunja. Warum konnte sie das Telefon nicht einfach weggeben? Warum musste sie das alles hören? Warum muss diese Frau so schön sein? Warum kann sie nicht einfach mit ihr reden und alles andere ausblenden? Warum hat sie Angst, dass er sie betrogen hat? Warum? Was, wenn er Dunja berührt hat? Sie geküsst hat. Sie in ihrer Verzweiflung aufgefangen hat mit seinen Händen, sie gestreichelt hat. Was, wenn Dunja einfach Ja gesagt hat, wenn sie alles genommen hat. Alles, was er ihr gegeben hat. So wie sie selbst vor acht Jahren. Schreckliches war Dunja widerfahren, da war mehr als Mitgefühl in seiner Stimme. Viel mehr. Und davor hat Blum Angst. Sie hat Angst, die Augen aufzumachen und hinzusehen, ihr nachzulaufen, es herauszufinden. Große Angst. Trotzdem tut sie es. Die Augen gehen auf, und sie rennt. Dunja , schreit sie.
– Bitte stehen bleiben. Dunja, bitte, ich will nur mit dir reden.
– Was willst du von mir? Woher kennst du meinen Namen?
– Von Mark.
– Geh weg.
– Ich bin seine Frau.
– Du sollst weggehen.
– Warte doch und lass uns reden, kurz nur, bitte.
– Ich habe genug geredet.
– Ich weiß.
– Gar nichts weißt du.
– Ich weiß alles. Ich habe mir alles angehört.
– Dieses Schwein.
– Warum sagst du das?
– Hattet ihr Spaß dabei? Euch das anzuhören? Habt ihr Popcorn dazu gegessen? War es schön?
– Nein.
– Er hat mir gesagt, niemand wird es jemals hören.
– Er hat es niemandem vorgespielt.
– Aber du bist doch hier, oder?
– Es war Zufall, ich wollte die Daten von seinem Handy löschen. Und dann waren da diese Gespräche, eure Treffen.
– Ich will, dass du gehst und mich nie wieder belästigst.
– Ich bin Blum.
– Und ich bin Dunja. Und jetzt hau ab.
– Mark hat das alles sehr ernst genommen. Alles, was dir passiert ist.
– Ich will nicht, dass du meine Geschichte kennst.
– Jetzt ist es zu spät.
– Du sollst abhauen.
– Er hat dir geglaubt. Und er hat dich gemocht. Das hört man.
– Es hat nicht geholfen.
– Er hätte alles für dich getan, Dunja. Glaub mir.
– Genau. Zuerst presst er mich aus wie eine Zitrone, und dann verschwindet er einfach. Er ist auch nicht anders als die anderen.
– Er war anders.
– Warum ist er dann nicht wiedergekommen?
– Er wäre wiedergekommen, das kannst du mir glauben.
– Er sagte mir, dass er sich um alles kümmert. Dass er mir hilft. Warum hat er dann nicht dafür gesorgt, dass alles wieder gut wird? Sag es mir. Warum nicht?
– Weil er tot ist.
– Was redest du?
– Er ist vor vier Wochen gestorben.
– Wie?
– Es war ein Unfall.
– Bitte nicht.
– Doch. Jeden Tag und jede Minute. Doch. Er ist tot. Er kommt nicht mehr zurück. Nie wieder. Wir sind allein, verstehst du?
– Wie ist er gestorben? Wie ist es passiert?
– Er wurde überfahren.
– Und der Fahrer? Was ist mit dem Fahrer?
– Fahrerflucht. Keine Spur von ihm. Verschwunden.
– Bitte nicht.
– Doch. Er war sofort tot.
– Ich muss gehen.
– Wir müssen reden.
– Nein. Es ist besser, du machst einen Bogen um mich. Es ist besser, du hältst dich von mir fern.
– Warum?
– Ich habe wirklich gedacht, dass alles gut wird. Glaub mir, ich wollte das alles nicht.
– Was?
– Dass er stirbt.
– Es war ein Unfall.
– Nein, das war es nicht.
13
Am Küchentisch. Blum hat für alle gekocht, Reza, Karl, die Kinder. Und Dunja. Sie hat die Frau einfach mitgenommen, sie zurück zum Parkplatz geschoben und sie in ihr Auto gesetzt. Blum duldete keinen Widerspruch, sie wischte Dunjas Einwände einfach weg, sie wollte nicht Gefahr laufen, sie aus den Augen zu verlieren. Blum wollte wissen, was sie damit meinte, dass es kein Unfall gewesen sei. Dass er nicht einfach so gestorben sei. Sie schrie Dunja an, sie bat sie, ihr zu sagen, was sie wusste. Doch Dunja schwieg. Sie schüttelte nur den Kopf, immer wieder entschuldigte sie sich. Sie wollte weglaufen, doch Blum hielt sie zurück. Nebeneinander saßen sie im Auto und fuhren in die Villa. Ohne Worte, ängstlich. Dunja wollte niemandem mehr schaden. Es tut mir so leid , sagte sie.
Dunja. Eine obdachlose junge Frau. Der Garten, die Villa, sie schien überrascht, dass sie sich in einem Bestattungsunternehmen befand. Scheu gab sie Reza und Karl die Hand, sie wich nicht von Blums Seite, sie stand neben ihr in der Küche, sie war
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