Totenfrau
ihr alle eingesperrt wart.
– Ja.
– Ich glaube dir. Aber du weißt, wie das klingt.
– Warum sollte ich so etwas erfinden? Warum?
– Was ist mit dem Kind passiert?
– Sie haben es weggebracht.
– Wohin?
– Woher soll ich das wissen?
– Und Ilena?
– Sie haben geflucht und herumgeschrien, sie waren außer sich. Dass alles voller Blut war, hat ihnen nicht gepasst. Dass sie plötzlich einfach tot war. Der Jäger hat uns betäubt, dann ging das Licht aus. Ich weiß nicht, was mit ihr passiert ist.
– Der Jäger?
– Wie oft denn noch? Ich habe euch das doch alles schon erzählt.
– Ich weiß, ich habe die Protokolle gelesen, ich möchte es aber von dir hören. Noch einmal bitte. Für mich. Das ist wichtig, Dunja.
– Er hat immer mit den Betäubungspfeilen auf uns geschossen. Er hat uns gejagt, wir sind durch den Keller gelaufen, und er hat auf uns geschossen. Wie auf Tiere. Es hat ihm Spaß gemacht.
– Was ist mit Youn?
– Ich weiß es nicht. Noch im Keller. Wahrscheinlich ist er ebenfalls tot. Ich weiß es nicht.
– Warum ist er nicht mitgekommen?
– Er war noch nicht wach. Ich habe ihn geschüttelt, ich habe versucht ihn mitzunehmen, aber er war zu schwer. Ich konnte nicht warten, ich musste weg, die Tür war offen, verstehst du? Ich wollte, dass er mitkommt, ich habe wirklich alles versucht. Sie hatten nicht abgesperrt, die Tür war offen, ich musste gehen, rennen, schnell.
– Was hast du gesehen?
– Nichts.
– Was hast du gesehen, als du auf die Straße gekommen bist? Ist dir jemand begegnet, war da ein Gebäude, an das du dich erinnerst, hat dich jemand angesprochen, hast du um Hilfe gerufen? Was hast du gemacht? Du musst dich erinnern, bitte.
– Ich bin einfach gelaufen.
– Wohin?
– Weg. Weit weg.
– Da muss doch irgendetwas gewesen sein, ein Ortsschild, das du gesehen hast, ein Berg mit einer besonderen Form, ein Geschäft, eine Fabrik, irgendetwas, an das du dich erinnern kannst.
– Ich sagte doch, ich bin einfach nur gelaufen, ich wollte weg, ich weiß nicht mehr, was da war, wo ich war. Irgendwann saß ich in einem Lkw.
– Du hast versucht, Autos anzuhalten?
– Ich weiß es nicht.
– Wo war das, Dunja? Wo? Wir müssen Youn finden. Irgendetwas fällt dir ein, ein Wegweiser, eine Werbung am Straßenrand, irgendetwas, das mir sagt, wo du warst, wo dieser verdammte Keller ist.
– Nein.
– Waren da viele Menschen? War es irgendwo auf dem Land?
– Da war nur dieser stinkende Lkw-Fahrer.
– Er wollte dir helfen?
– Nein. Er sagte, er wolle nur Spaß haben. Das weiß ich noch.
– Hat er nicht gesehen, dass du Hilfe brauchst?
– Ich weiß es nicht.
– Er muss doch gesehen haben, dass mit dir etwas nicht stimmt.
– Deshalb hat er mich auch aus dem Wagen geworfen.
– Wie hat er ausgesehen?
– Weiß ich nicht.
– Was war das für ein Wagen?
– Keine Ahnung.
– Irgendetwas, Dunja, bitte.
– Da ist nichts. Nur ein Mann, der anzügliche Witze macht. Ich war benommen, ich war gar nicht richtig auf der Welt, ich bin immer wieder weggekippt. Da war nur die Straße. Und wie er gelacht hat. Ich war weg. Aus dem Keller nach fünf Jahren. Fünf Jahre, verstehst du. Und dann wieder eine Hand auf mir, auf meinem Schenkel. Der Fahrer. Ich habe geschrien. Laut, ich habe nicht mehr aufgehört, bis er die Tür aufgemacht hat. Mich hinausgeworfen hat. Einfach so.
– Auf der Raststation, auf der dich die Kollegen gefunden haben?
– Ich weiß es nicht.
– Sie haben dich von dort zu uns gebracht.
– Ja, vielleicht.
– Ich wüsste so gerne, wo ich nach diesem Keller suchen soll, Dunja.
– Es war ein so schönes Gefühl.
– Was?
– Endlich allein zu sein, nur dazuliegen. Auf dem Asphalt, auf irgendeinem Scheißparkplatz. Ich war wieder frei. Da war keiner mehr von denen. Keiner mehr. Nur ich, verstehst du. Da war nur noch ich.
11
Uma will nicht essen. Nela versaut den Küchenboden, sie verschüttet Wasser, wirft Nudeln. Es ist Mittag, Blum schaut ihnen zu. Blum lässt sie. Blum weiß zwei Dinge. Erstens, sie muss für die Kinder sorgen, sie muss sie lieben, ihnen alles geben, was sie selbst nie gehabt hat. Zweitens, sie muss Dunja finden. Die Frau von dem Handy, die Frau, die Mark vor seinem Tod so oft getroffen hat. Blum will in ihre Augen schauen, sie will sehen, ob Mark Recht hatte. Sie will sehen, was er gesehen hat.
Bereits als sie sich zum zweiten Mal getroffen haben, haben sie sich geduzt. Er muss sie abgeholt haben, wahrscheinlich
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