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Totenfrau

Totenfrau

Titel: Totenfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Aichner
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Hingerichtet, das Liebste, das Blum hatte.
    Mitten in der Nacht am Küchentisch. Noch einmal spricht Dunja es aus. Sie glaubt daran, dass jemand auf Mark gewartet hat. Darauf, dass er mit dem Motorrad aus der Einfahrt kommen würde. Einer der fünf Männer, einer von ihnen, der Gas gegeben hat und Mark ohne zu zögern überfahren hat. Ihn ausgelöscht hat. Dunja weiß es, sie spürt es, sie glaubt nicht an Zufälle. Es war Mord, sagt sie. Zum ersten Mal denkt Blum darüber nach. Dass es wahr sein könnte. Dass da mehr ist. Viel mehr.
    – Bitte, Dunja.
    – Was?
    – Wie kannst du dir so sicher sein?
    – Weil ich diese Menschen kennengelernt habe. Sie wollen nicht gefunden werden, sie würden alles dafür tun. Für das, was sie getan haben, würden sie für immer ins Gefängnis gehen.
    – Du sprichst von Mord.
    – Ja.
    – Mark hat niemandem etwas getan.
    – Er hat in ein Wespennest gestochen. Bei unserem letzten Treffen hat er mir gesagt, dass er vielleicht einen der Männer ausfindig gemacht hat. Den Fotografen.
    – Was hat er?
    – Mehr weiß ich nicht. Er sagte nur, ich solle mir keine Sorgen machen.
    – Blödsinn. Das war nicht auf dem Band, kein Wort davon. Das kann nicht sein.
    – Doch.
    – Nein.
    – Er hatte sein Telefon schon ausgeschaltet, er wollte nicht, dass es jemand hört. Niemand, verstehst du. Es war das Letzte, was er zu mir gesagt hat. Dann war er weg. Er ist nicht wiedergekommen. Ich habe ihn gehasst dafür.
    – Aber sie hatten doch Masken auf, oder? Alle. Immer? Ihr habt sie nie gesehen, in all den Jahren nicht.
    – Nein. Nur die Masken. Wir haben ihre Gesichter nie gesehen.
    – Wie soll er dann herausgefunden haben, wer es ist? Wie soll er diesen Fotografen gefunden haben? Wie?
    – Ich weiß es nicht.
    – Es gibt Hunderte Fotografen in Tirol. Und niemand sagt, dass er überhaupt aus Tirol kommen muss. Niemand weiß, wo dieser Keller ist, du könntest auch in Bayern gewesen sein oder in Italien, man hat dich nur fünf Kilometer vor der italienischen Grenze gefunden.
    – Es tut mir so leid. Ich kann dir nur das sagen, was ich auch ihm gesagt habe.
    – Du wirst mir jetzt alles noch einmal erzählen müssen.
    – Meine Geschichte hat ihn kaputt gemacht. Und sie wird auch dich kaputt machen.
    – Nein, das wird sie nicht.
    – Ich habe Angst.
    – Erzähl es mir. Alles über den Fotografen, auch das kleinste Detail, alles, was dir einfällt.
    – Du hast das doch alles schon einmal gehört. Das Telefon, es ist alles auf dem Telefon.
    – Bitte, Dunja.
    – Bitte nicht.
    – Doch, Dunja. Für Mark.

14

Blum gibt Gas. Wieder. Sie hat einen Helm auf, sie hat sich einen Lederanzug gekauft. Sie hat Kinder. Immer wieder erinnert sie sich daran, sie will nicht sterben, sie will leben, sie muss auf sich Acht geben, für Uma und Nela. Deshalb der Helm, deshalb das Leder. Trotzdem gibt sie Gas. Schnell über die Autobahn, über die Brücke ins Ötztal. Viele Kurven nach oben, viele Kurven zum Nachdenken, nur noch zwanzig Minuten, bis sie ankommt in dem Dorf, in dem sie vielleicht Antworten findet. Alles, was Dunja ihr erzählt hat, nahm dort seinen Anfang. In diesem Hotel, vor fünf Jahren, im Personalhaus. Irgendjemand muss etwas wissen, irgendjemand muss sie vermisst haben. Blum wird mit jedem reden, sie wird so lange suchen, bis sie etwas findet. Etwas, das ihr sagt, wo sie diesen Fotografen suchen muss. Etwas, das ihr sagt, dass nicht alles nur Unsinn ist.
    Blum fährt doppelt so schnell wie erlaubt. Durch Ötz, ein kleines Tiroler Dorf, sie rast, sie ignoriert das Kopfschütteln am Straßenrand, blitzschnell lässt sie das Dorf hinter sich, sie muss weiter, sie muss nach Sölden, schnell. Mark ist auf etwas gestoßen, Blum weiß es. Sie weiß, dass Dunja Recht hat, es gibt keinen Zweifel, keinen. Schnell an Bildstöcken vorbei, Serpentinen nach oben, alles, was ihr passiert ist, es liegt vor ihr, Blum ahnt es. Wie es dieser verletzten Frau Angst macht, sie einschüchtert. Angst, dass es weitergeht, dass es nicht mehr aufhört, dass sie kein weiteres Mal mehr entkommen wird. Angst, dass diese Männer alle töten werden, die im Dreck wühlen, dass sie einfach alles auslöschen werden. Dunja ist sich sicher. Was sie erlebt hat, lässt keinen anderen Schluss zu. Wie oft sie es gesagt hat. Dass es schlimm war. Dass nichts auf der Welt schlimmer sein kann. Ein schlimmes Märchen, das Angst macht, ein grauenhafter Film, in dem Dunja die Hauptrolle spielt, ein Film, den sich Blum anschauen muss.

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