Totenfrau
ihm in der kleinen Konditorei zu sitzen. Wie er ihre Hand nimmt, weil Blum zittert. Wie sie es zulässt und mit der anderen Hand die Haare aus dem Gesicht streicht. Sie überlegt, wo sie anfangen soll. Was sie ihm sagen soll. Die ganze unglaubliche Geschichte zum Frühstück. Der Kopf tut ihr weh, sie muss Wasser trinken, ihm davon erzählen, alles, jetzt. Ganz von vorne. Vorsichtig beginnt sie, mit Marks Arbeitszimmer, wie sie seine Sachen geordnet hat, wie sie die Aufzeichnungen gefunden hat, die fremde Stimme dieser Frau. Massimo hört zu. Zuerst sagt er nichts, ist gespannt, er lässt Blum reden. Er weiß noch nicht, wo Blum hinwill. Was sie so durcheinanderbringt. Bis zu dem Moment, als sie Dunjas Namen sagt, hört er nur zu. Dann unterbricht er sie liebevoll und nimmt ihr die Angst. Blum kommt nicht mehr dazu, ihm zu erzählen, was alles in Marks Telefon gespeichert war. Auch nicht, dass sie Dunja gefunden hat, dass sie mit ihr gesprochen hat, dass sie zu Hause in ihrer Wohnung sitzt und auf sie wartet. Sie kommt nicht dazu, ihm zu sagen, dass sie in Sölden war und vermutet, dass der Fotograf Edwin Schönborn einer der Männer ist, die Dunja das angetan haben. Nichts davon, dass Marks Tod vielleicht gar kein Unfall war, sondern Mord. Nichts davon, weil Massimo alles auf den Kopf stellt. Er macht alles wieder bunt, was schwarz und dunkel war. Er beruhigt sie, sagt ihr, dass alles Unsinn ist. Was diese Frau erzählt hat. Wie eindrucksvoll sie gelogen hat, nur das Gerede einer geistig kranken Frau. Massimo sagt ihr, dass alles Lüge ist. Dass er sich bestens an Dunja erinnern kann, dass der Chef der psychiatrischen Klinik Wahnvorstellungen diagnostiziert hat. Dunja stand unter Drogen, sie ist aus dem Krankenhaus geflohen, obwohl ihr alle helfen wollten. Mark. Massimo. Und noch viele mehr.
Blum hört zu. Ihr Mund bleibt geschlossen, alles, was sie sagen wollte, behält sie für sich. Sie ist sprachlos, schaut Massimo nur an. Was er sagt. Über Mark. Über Dunja. Wie sich alles plötzlich wieder verändert, Blums Blick auf die Welt. Woran sie geglaubt hat, alles Lügen. Es war nur Mark, der unbedingt glauben wollte, dass sie die Wahrheit sagt. Nur er. Massimo hat ihm damals geraten, die Sache ruhen zu lassen, sich um wichtigere Dinge zu kümmern, doch Mark hörte nicht auf. Er hat nach Öl gebohrt, wo kein Öl war. Nur ein weiterer Versuch, jemanden zu retten. Eine hübsche junge Frau auf einem Boot. Eine hübsche junge Frau in einem Bett auf der Psychiatrie. Dunja.
Blum schweigt. Sie wollte so viel sagen, jetzt ist sie still. Was Dunja erzählt hat, wovon sie noch vor zehn Minuten überzeugt war, ist nicht mehr wichtig. Da ist nur ein Gedanke in ihr, und der ist laut. Warum hat Mark sie getroffen, wenn alle ihm davon abgeraten haben? Warum ist dieses Bedauern in Massimos Gesicht? Was weiß er? Was hat Mark getan? Geht es gar nicht um Dunjas Geschichte? Blum hat Angst, dass alles auseinanderfällt, dass Mark ihr wehtut. Sie nimmt Massimos Hand und bittet ihn, ihr die Wahrheit zu sagen. Ohne Rücksicht. Er solle ihr sagen, ob Mark ein Verhältnis mit Dunja hatte, sie wolle es wissen. Doch Massimo sagt nichts. Nur, dass Mark sein Freund war. Er weicht aus. Nichts darüber, ob Mark fremdgegangen ist, ob er alles aufs Spiel gesetzt hat. Er bittet Blum, das Ganze einfach zu vergessen, die Aufnahmen als Spinnerei einer verlorenen Seele abzutun und nicht weiter darüber nachzudenken. Er bittet sie, nicht an Mark zu zweifeln. Nicht einmal eine Sekunde lang.
Ein böser Traum. Blum steht auf und geht. Ohne sich zu verabschieden, geht sie. Durch die Tür auf die Straße, sie muss atmen, Luft holen, sie will verstehen, was eben passiert ist. Sie geht einfach. Ein Bein vor das andere, das Motorrad bleibt stehen. Luft. Immer weitergehen. Massimos Blicke. Mark. Wieder ist alles durcheinander, wieder zerreißt Mark ihr das Herz, wieder ist alles unerträglich laut, alles tut weh. Die Erinnerung, alles, was sie miteinander hatten, bedroht durch das, was Massimo gesagt hat. Was er nicht gesagt hat. Sie will es nicht, doch sie malt es sich aus. Mark und Dunja in einem Hotelzimmer, nach dem vierten Treffen konnten sie nicht mehr anders, sie hatten sich verliebt, er hatte Mitleid mit ihr. Dieser Gedanke, der von Anfang an da war, der sich durch ihren Körper frisst wie ein Wurm, er ist wieder da. So sehr sie daran geglaubt hat, dass Mark sie in all den Jahren nie betrogen hat, so sehr zweifelt sie jetzt daran. Weil er nicht mehr da
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