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Totenfrau

Totenfrau

Titel: Totenfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Aichner
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euch lieb. Mama macht jetzt Frühstück für ihre kleinen Mäuse. Blum nimmt sie in ihre Arme und hält sie. Wie unschuldig sie sind. Wie klein. Wie weit weg alles ist. Schönborns Körper. Wie sie ihm seine Kleider vom Leib geschnitten hat. Wie sie mit dem Skalpell durch das Fett schnitt.
    In wenigen Stunden wird er unter der Erde verschwinden. In wenigen Stunden wird sie mit Reza auf den Ostfriedhof fahren und es zu Ende bringen. Sie wird sich in aller Form verabschieden, Kränze, Kerzen, eine Trauerrede. Für die Verstorbenen, zu denen sie das Dreckschwein gebettet hat. Reza hat die Rede vorbereitet, Blum wird sie halten. Sie wird mit Trauermiene über das Leben der Verstorbenen sprechen, dabei aber an Schönborn denken. Sie wird ihn zum Grab begleiten und zusehen, wie die Träger den Sarg in das Grab hinunterlassen. Die Beine und den Kopf um zwei Uhr, den Rumpf und die Arme um vier Uhr. Zwei Beerdigungen, dann ist Schönborn Geschichte, nur noch Erinnerung. Vermisst, verschwunden. Für immer.
    Blum wird seine Kleidung verbrennen und in seine Wohnung fahren. Abends, wenn die Kinder wieder schlafen. Mit dem Schlüssel, den sie in seiner Jackentasche gefunden hat, wird sie aufsperren, sie wird alle Spuren verwischen, alles sauber machen, was sie berührt hat. Und sie wird nach den Fotos suchen. Nach dem Beweis, der ihr immer noch fehlt, die Fotos, die das erzählen, was Schönborn nicht mehr erzählen konnte. Blum muss sie finden und für Gerechtigkeit sorgen. Für Mark. Für Dunja.
    Sie fragt nicht nach ihm. Dunja. Kein Wort. Nicht danach, was Blum vorhat, was sie unternehmen wird, jetzt, wo sie herausgefunden hat, wer dieser Mann ist. Dunja will es nicht wissen. Als Blum es anspricht, wehrt sie ab. Blum will ihr sagen, dass sie nichts unternehmen kann, dass sie nicht weiß, wie sie helfen soll, dass ihr die Hände gebunden sind. Sie will lügen, doch Dunja winkt ab, sie legt ihren Zeigefinger auf die Lippen und schüttelt den Kopf. Nein. Bitte nicht. Ich will nichts mehr davon wissen. Es ist in ihren Augen, es ist überall, ihre Angst, sie hat kein Wort mehr dafür übrig, es ist alles gesagt. Blum ist froh, dass sie nichts erklären muss. Ein weiteres Treffen, bei dem er versehentlich zu Tode gekommen ist. Nichts davon. Blum sagt nichts, und Dunja ist dankbar. Sie bietet an, einkaufen zu gehen, sie will sich nützlich machen. Mit gesenktem Kopf nimmt sie das Geld, das Blum ihr hinschiebt, dann geht sie. Brot für das Frühstück, Eier, Orangensaft. Alles scheint in Ordnung zu sein, der Sturm scheint vorüber.
    Brot, Eier, Orangensaft. Blum wartet immer noch. Die Kinder haben Joghurt gegessen, dann sind sie hinauf zu Karl. Blum bleibt, sie hält die Stellung, sie wartet auf Dunja. Seit zwei Stunden schon. Dass Dunja nicht wiederkommen könnte, daran denkt Blum nicht. Sie weiß, dass sich Dunja wohlfühlt, dass sie Blums Hilfe annehmen will. Bleiben will. Blum wird dafür sorgen, dass sie bleiben kann, irgendwie wird sie es hinbekommen, sie wird alle Hebel in Bewegung setzen. Für Dunja, damit die Angst aufhört irgendwann. Damit sie in Ruhe schlafen kann, aufwachen. Doch Dunja kommt nicht wieder.
    Dunja hat sich unter einem Stein verkrochen, denkt Blum, im hintersten Winkel dieser Stadt Unterschlupf gefunden, sie wird in eine andere Stadt gehen, irgendwohin, wo sie keiner kennt. Sie will in Sicherheit sein, sie will weg von dieser Stimme in Blums Mobiltelefon. Mit einem Fünfzig-Euro-Schein in der Tasche. Schnell. Weit weg. Blum hört auf, aus dem Fenster zu starren. Dunja ist weg. Sie ist nur noch eine Stimme. Eine Stimme, die diese Geschichte über den Keller erzählt. Blum hört sie in sich. Die Geschichte von Ilena, Dunja und Youn. Ein Fotograf, ein Priester, ein Jäger, ein Koch, ein Clown. Männer mit Masken. Ein Priester, ein Jäger, ein Koch, ein Clown. Blum wird sie finden.

24

Nachmittag. Alles ist wie immer. Die Verabschiedung, die Tränen, der Sarg, der in die Erde eintaucht. Nach Wochen ist Blum zum ersten Mal wieder im Dienst. Reza freut sich, die Aushilfe, mit der er sich herumgeschlagen hat, hat ihm den letzten Nerv geraubt. Er nimmt Blum in die Arme und bedankt sich. Blum freut sich. Schön, dass du wieder da bist. Ohne dich ist das nichts . Wie Wasser ohne Blumen. Reza. Wie er dasteht in seinem schwarzen Anzug. Er ist die ganze Nacht durchgefahren, damit er rechtzeitig hier sein kann. Bosnien. Blum weiß nicht, was er dort gemacht hat, darüber spricht er nicht. Wen er dort noch hat, ob er Geld

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