Totenfrau
macht die Tür zum Kühlraum auf. Er liegt zwischen zwei Särgen auf dem Aluminiumtisch. Sie hat ihn festgebunden und ihn zwischen den Särgen abgestellt. Zusammengeschnürt wie ein Paket. Sie hatte Angst, dass er aufwachen würde, bevor sie wieder bei ihm ist, sie musste ihn verstecken, falls sich doch eines der Kinder oder Karl in den Versorgungsraum verirrte. Blum ist allein mit ihm.
Wie er daliegt. Das Ungeheuer, das sie eingefangen hat. Sie hat ihn niedergestreckt, ihn wie ein friedliches Stück Fleisch aus dem Wagen gezerrt. Da ist nichts mehr Gefährliches an ihm, sie hat ihn ungesehen in den Versorgungsraum gebracht, problemlos hat sie ihn auf den Aluminiumtisch geschoben und in den Kühlraum gerollt. Ein Kinderspiel das alles, es schien perfekt zu sein, alles, was sie sich erwartet hat, ist eingetreten. Zwischen zwei Leichen liegt er. Zwei Särge und Schönborn. Fünf Grad. Sie schließt die Tür und lässt ihn allein. Hier soll er auf sie warten. Bis die Kinder schlafen, bis sie ungestört mit ihm allein sein kann.
Doch die Kinder schliefen nicht. Sie ließen sie nicht gehen, Blum musste ihnen vorlesen, ihnen Geschichten erzählen, immer wieder. Und noch eine. Während Schönborn im Kühlschrank vor sich hinschlummerte, lag Blum bei Uma und Nela. Bitte bleib, Mama. Wir haben Angst, Mama. Bis wir schlafen, Mama. Bitte. Auch wenn Blum darauf brannte, Schönborn aufzuwecken, ihn zur Rede zu stellen, sie musste bei den Kindern bleiben. Es gab nichts, das wichtiger war. Uma und Nela, sie hatten Angst, die Augen zuzumachen, sie wollten Geborgenheit. Und Blum gab sie ihnen, sie blieb, bis ihre Kinder in Sicherheit waren. Erst als sie friedlich und tief schlafend nebeneinanderlagen, ging sie wieder zu ihm.
Schönborn. Wie er dagestanden hatte mit seiner Kamera. Wie grün das Moos war. Wie er darauf gewartet hatte, dass sie sich auszog. Blum im Wald. Blum allein. Alles war außer Kontrolle geraten, Panik hatte sie gepackt, sie hatte überreagiert. Blum. Sie musste etwas tun. Er war einfach nicht eingeschlafen, er war voller Energie, das Lösungsmittel schien ihm nichts anzuhaben, alles würde so wie vereinbart über die Bühne gehen müssen. Der nächste Schritt wäre gewesen, sich auszuziehen. So weit wollte sie es nicht kommen lassen, das Spiel musste enden, sie musste eine Entscheidung treffen, sie wollte ihn am Boden sehen, ohnmächtig, später wollte sie ihm Fragen stellen, sie wollte Antworten. Sie wollte wissen, wer die anderen waren. Wo dieser Keller war. Was mit Youn war. Deshalb musste sie nachhelfen, das Ganze beschleunigen. Zu warten, bis er über sie herfiel, war keine Option.
Sie konnte nicht einfach vor der Sache davonlaufen, und deshalb zögerte sie nicht. Als sich Schönborn bückte, um etwas aus dem Fotokoffer zu nehmen, schlug sie zu. Der Stein war einfach da gewesen, er hatte neben ihr gelegen, er traf Schönborn am Hinterkopf. Es war so, wie sie es sich vorgestellt hatte, nur weniger Blut. Kein sanftes Entschlafen, sondern ein dumpfes Fallen, Schönborn kippte vornüber und sank in sich zusammen. Fast lautlos, so als hätte sie die Luft aus dem Monster gelassen. Reglos lag er da, ohne zu zögern, begann sie, ihn zu fesseln. Hände, Füße, sie machte ihn wehrlos, kampfunfähig, sie bereitete das Schwein darauf vor, gebraten zu werden.
Blum tat es einfach, sie holte die Transporttrage aus dem Wagen und stellte sie neben ihm ab. Sie musste ihn auf diese Trage schieben, irgendwie, und sie musste diese Trage zum Auto ziehen, es war ihre einzige Möglichkeit. Mit aller Kraft schob sie ihn, sie stemmte sich mit ihrem Körper gegen ihn. Blum fluchte, schrie, spuckte ihn an. Es ging nicht, Schönborn war zu schwer, sie merkte, wie ihre Kraft schwand. Sie hatte es sich leichter vorgestellt, in Gedanken war es so einfach gewesen, die Wirklichkeit aber hatte Wurzeln, der Boden war uneben, zehn Meter waren unendlich weit. Blum war kurz davor aufzugeben, ihn einfach liegen zu lassen, Massimo anzurufen. In ihren Augen standen Tränen. Noch einmal spuckte sie ihn an, dann hob sie ihn hoch. Sie stellte das eine Ende der Trage auf die Ladefläche und hob auf der anderen Seite an. Dann verschwand das Dreckschwein im Wagen. Notdürftig verladen, seine Glieder in Unordnung, unter einer Decke verborgen. Edwin Schönborn auf dem Weg zum Bestattungsinstitut. Blum war überzeugt davon, dass es richtig war. Dass sie keine andere Wahl hatte. Kurz war alles gut.
Die Kinder in ihrem Arm beim Einschlafen. Diese
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