Totenfrau
Wow!
– Es gibt kein besseres Haus hier in Kitzbühel.
– Vom kleinen Provinzhotel in den Gourmethimmel.
– Von Null auf Hundert.
– Geliebt von allen. Das ist schön. Sie kennen bestimmt jeden, der hier ein und aus geht, oder?
– Jeden nicht, aber wie gesagt, hier verkehrt alles, was Rang und Namen hat. Das ist die Oberklasse hier, verstehen Sie? Vom Bundespräsidenten bis hin zu Arnold Schwarzenegger. Alle essen sie hier.
– Edwin Schönborn, sagt der Ihnen auch etwas?
– Der Fotograf, selbstverständlich. Ebenfalls Stammgast hier.
– Auch ein Freund von Bertl?
– Bertl kennt alle. Und alle wollen, dass er ihr Freund wird. Sie wissen ja, wie das ist. Im Schatten des Ruhms schmeckt der Wein am besten.
– Tut er das?
– Ja.
– Na dann, Prost.
Blum wischt sich den Mund ab. Die Legosteine ihrer Kinder fallen ihr ein. Stein auf Stein. Egal, wo sie hingreift, sie erwischt immer einen, der passt. Jeder Stein ein Treffer. Schönborn. Jaunig. Puch. Dunja hat alles richtig gemacht. Sie hat Mark und Blum das gesagt, was wichtig war. Dunja kannte weder Gesichter noch Namen. Trotzdem hat Blum sie gefunden. Zwei von ihnen, bald den dritten. Sie kannten sich, sie haben miteinander gegessen und getrunken. Der Koch hat sich um das leibliche Wohl gekümmert. Um das Wohl seiner Freunde und um das seiner Opfer.
Dunja hat es erzählt. Was der Koch mit ihnen gemacht hat. Wie er sie gemästet hat. Ich muss meine Schweinchen gut füttern , hat er immer gesagt. Gute Haltung, gutes Futter, gutes Fleisch. Nur das Beste kam durch die Luke in die Käfige, nur das Beste für die Mastschweine. Wie er sie begutachtet hat, sie gewogen hat, wie sie sich ausziehen mussten. Jedes Mal, wenn er in den Keller kam. Kontrolle ist alles, hat er gesagt, während er sicherging, dass sie gut im Speck standen. Er wog sie und führte Buch. Und er sorgte dafür, dass sie Gymnastik machten, dass sie fit blieben. Gute Ernährung sei das Wichtigste. Ein verhungertes Reh zu ficken mache keinen Spaß, hat er gesagt und sie mit seinem Gürtel geschlagen. Hiebe, wenn sie nach unzähligen Liegestützen erschöpft liegen blieben. Wenn sie nicht mehr essen wollten. Rinderlendentournedos mit Gänseleber, die Hände auf dem Rücken gefesselt fraßen sie aus Plastikschüsseln. Jakobsmuscheln mit Champagnersauce, mit Fingern stopften sie sich das Essen hinein. Wie Vieh wurden sie gehalten. Auf Heu schliefen sie, unzählige Male koteten sie einfach ein, weil sie nicht auf die Toilette konnten. Uringeruch und Gourmetküche. Perlen vor die Säue , sagte der Clown. Trotzdem bestand der Koch auf ausgewogene Ernährung. Wir müssen unsere kleinen Schweinchen gut füttern , sagte er. Wir müssen die dreckigen Säue sauber machen , meinte der Clown. Sie lachten. Und der Priester spritzte sie ab. Mit einem Gartenschlauch machte er sie sauber, das Wasser mit Druck in ihre Gesichter, auf ihre Wunden. Sie mussten sich nackt ausziehen. Sie mussten ihre Käfige reinigen, den Boden schrubben. Sie mussten alles tun, was ihnen gesagt wurde. Jahrelang. Schneckenragout mit Kalbsbries.
Blum zahlt und fährt. Sie will weg, sie will nichts mehr hören, sich kein weiteres von Dunjas Bildern in ihren Kopf holen. Szenen aus dem Keller. Dinge, an die sie zuerst nicht glauben wollte. Die Vorstellung, dass da jemand ist, der immer noch in einen Käfig eingesperrt auf Essen wartet. Youn. Sie muss ihn finden, irgendjemand muss reden, sie darf nicht zulassen, dass noch etwas passiert. Dass noch jemand stirbt. Jemand von den Guten. Nein. Bitte nicht.
Blum auf dem Motorrad. Schnell über die Autobahn zurück in ihr Leben, zurück in die Villa, in ihre kleine, heile Welt. Heil, obwohl Mark tot ist. Heil, weil sie frei ist, weil sie alles tun kann, was sie will. Niemand hält sie auf, keiner sagt ihr, dass sie wahnsinnig ist. Niemand stoppt sie. Keiner nimmt ihr die Gedanken an seinen zerteilten Körper. Bertl Puch. Sie will wissen, wie er ist. Sie will ihre Bildungslücke schließen, den Mann kennenlernen, der alle in seinen Bann zieht. Der Mann, der alle mit seinem Gürtel geschlagen hat. Sie ausgepeitscht hat, dabei masturbiert hat. Bertl Puch vor ihr auf dem Bildschirm. Auf YouTube. Der Fernsehkoch mit dem breiten Grinsen und dem Tiroler Dialekt. Der kleine, fleißige Koch, der in sphärische Höhen aufgestiegen ist. Ein Liebling der Nation, ein Strahlemann, der jeder Hausfrau das Gefühl gibt, sie könne mit ihrem Kochlöffel die Welt verändern. Ein Schauspieler, ein
Weitere Kostenlose Bücher