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Totenfrau

Totenfrau

Titel: Totenfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Aichner
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verantwortlich sind. Keinen Atemzug lang zweifelt sie daran, dass es Mord war. Dunja ist nicht gesprungen, nicht einfach ins Wasser gefallen, sie ist auch nicht weggelaufen. Sie hat sich wohlgefühlt im Zimmer der Mädchen, sie wäre zurückgekommen. Jemand hat sie zum Schweigen gebracht. Dann haben sie sie entsorgt, ins Wasser geworfen wie einen kleinen, schäbigen toten Fisch. Dunjas Mund. Wie er offen vor ihr lag in der Gerichtsmedizin. Wortlos und kalt.
    Mord. Einer mehr. Ilena, Mark, Dunja. Drei Tage lang denkt sie an nichts anderes, sie quält sich, mit Gewalt denkt sie sich gute Erklärungen für alles aus. Kurz überlegt sie, alles zu vergessen, die Entscheidung zu treffen, einfach mit den Kindern glücklich zu sein. Doch sie kann nicht, Mark fehlt, das alte Leben gibt es nicht mehr, das neue nimmt gerade erst Formen an. Blum trinkt Wein auf ihrer Terrasse. Die Gedanken fliegen wild herum, die Kinder sind auf ihrem Schoß eingeschlafen. Alles, was sie tun, was sie sind, was sie sagen, es macht es nicht besser. Was Nela gesagt hat, bevor sie eingeschlafen ist.
    – Mama?
    – Ja, mein Schatz.
    – Ich hab Glück im Bauch.
    – Glück?
    – Ja, ganz viel Glück.
    – Warum?
    – Ich hab Papa gesehen.
    – Was hast du?
    – Es geht ihm gut, Mama. Er war auf dem Motorrad und hat mich angelacht. Und er hat gewinkt, Mama.
    – Nein.
    – Doch, Mama, und er hat gesagt, du sollst nicht traurig sein.
    – Hat er das?
    – Ja, das hat er.
    Wie lange er schon tot ist. Die letzte Berührung liegt weit zurück, das letzte Lächeln. So gerne hätte auch Blum gesehen, was Nela gesehen hat. So gerne hätte sie ihrer Tochter alles erspart. So stark sein zu müssen. Jeden Tag, irgendwie überleben. Weil Mörder da draußen sind. Mörder, die alles kaputt machen. Blum trinkt und streichelt ihre Kinder. Es ist eine schöne Herbstnacht, der Himmel ist klar, alles ist ganz einfach. Es tut weh, aber es ist einfach. Sie haben zugeschlagen, Blum schlägt zurück. Weil es nichts anderes zu tun gibt, nichts, das ihr Mark wiederbringt. Sie wird auch die anderen finden, sie wird jetzt mit ihren Kindern schlafen gehen. Dann wird sie aufwachen und sie finden.
    Die Nacht. Der Morgen. Karl, der wie immer die Kinder übernimmt. Reza, der Blum fragt, was sie vorhat. Blum sagt nichts, sie lächelt ihn an. So wie Mark Nela angelächelt hat. Mach dir keine Sorgen um mich, Reza. Ich komme wieder. Ja, ich passe auf mich auf. Ja, du kannst dich darauf verlassen. Danke, Reza. Blum auf dem Motorrad, die Einfahrt hinaus auf die Straße. Blum auf dem Weg nach Kitzbühel. Auch wenn sie weiß, dass es unsinnig ist, dass es wahrscheinlich nichts bringt, sie tut es trotzdem. Es war wie eine Eingebung. Sie hat diese Speisekarte gesehen und sich gefragt, warum sie da liegt. Eine Speisekarte aus einem Kitzbühler Restaurant auf dem Schreibtisch eines Innsbrucker Priesters. Warum sollte er sie mitgenommen haben? Ein Priester, der Speisekarten stiehlt? Ein Priester, der so vertraut ist mit dem Wirt, dass er sie mitnehmen durfte? Vierundfünfzig Kilometer noch bis zum Kitzbühler Restaurant. Die Puch-Stube. Nur ein Bauchgefühl.
    Am Stadtrand von Kitzbühel, zum Wald hin gelegen. Viele Häuser und Wohnungen, von den Reichen aus dem Boden gestampft, Ferienhäuser, Zweitwohnsitze, dazwischen ein Hauben-Restaurant. Klein, vierzig Sitzplätze, gediegen, unscheinbar. Blum fragt nach dem Koch. Jeder weiß, wen sie sucht, jeder kennt diesen Mann, Bertl Puch. Der Koch aus dem Fernsehen. Ein tolles Restaurant, sehr teuer. Blum parkt. Es ist Mittag, sie sitzen in Abendkleidern und Anzügen vor ihren Suppen. Kitzbühel. Blum hat es immer schon gehasst, dieses Mekka der Reichen, diese Ansammlung von Geld und Macht. Sie rotten sich zusammen, sie stopfen sich voll mit Weißwürsten und Kaviar. Sie sind unter sich, sie schotten sich ab.
    Kitzbühel. Ende September, mittags in einem Restaurant. Blum wird gebeten, das Lokal zu verlassen, der Kellner macht sie darauf aufmerksam, dass es Kleidervorschriften gibt. Doch Blum bleibt stehen. Sie hat nichts zu verlieren, sie will wissen, ob sie auf der richtigen Spur ist. Ob sie sich kannten. Der Koch und der Fotograf. Der Koch und der Priester. Sie wird es herausfinden. Sie zieht sich aus. Vor allen Augen die Lederjacke, die Hose, die Stiefel. Aus ihrer Tasche zieht sie ihre Stöckelschuhe. Ihre langen Beine, die nackten Füße, wie ein Schwan steht sie da, in einem geblümten Sommerkleid, die Lederkluft verstaut in ihrem Rucksack. Der

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