Totenfrau
Gesichtern nicht einmal mehr Verzweiflung, nur Resignation, der stumme Schrei nach Erlösung. Stumm, weil da keine Kraft mehr war. Nur der Wunsch zu sterben, es zu beenden. Wenn die Täter nicht da waren, wenn die drei alleine in ihren Käfigen auf sie warteten. Dem Ganzen irgendwie ein Ende setzen. Dunja hat darüber gesprochen. Dass sie es sich überlegt haben, alle drei, ständig. Dass sie sich danach gesehnt haben, dass sie es aber nicht konnten. Sich töten. Deshalb haben sie es ertragen, die Demütigungen, die Gewalt.
Siebzehn kleine Videos. Kurze Einblicke in eine kranke Welt. Ein präparierter Raum, Fliesen dort, wo die Käfige sind. Damit man sie waschen kann. Dreckzone, Fickzone. Streng voneinander getrennt. Videos von der Nahrungsaufnahme. Menschenverachtend. Tritte und Schläge, während sie essen, Lust und Wut und Bestrafung. Zur Belustigung des Kochs. Es war sein Projekt. Er sprach darüber, während er sie filmte. Er zeigte seine Tierchen. Filmte sie, die kleinen undankbaren Schweinchen, die die Menüfolge aus dem Haubenlokal verschmähten. Bertl Puch schlägt sie blutig. In der einen Hand sein Gürtel, in der anderen sein Handy. Züchtigung in der Dreckzone. Die schwangere Ilena am Boden, sie rührt sich nicht mehr. Youn, der alles aufessen muss. Bis nichts mehr übrig ist. Aus Kübeln.
Blum sitzt in Bertl Puchs Wohnung und klickt sich von Video zu Video. Auf einigen sieht man den Priester, wie er Youn mit dem Gartenschlauch sauber macht, wie er ihn wäscht, ihn pflegt, bevor er ihm wehtut. Seine Statur, seine Stimme. Und auch Schönborn ist da, mit seinem Fotoapparat in der Hand. Blum ist sich hundertprozentig sicher, dass er es ist. Trotz Maske. Sie hat ihn nackt gesehen, sie hat ihn in Einzelteile zerlegt, sie weiß, dass er es ist. Es ist wie eine Orgie. Der Keller als gesetzloses Land, alles ist erlaubt, nichts ist verboten. Auch die Betäubungspfeile aus dem Jagdgewehr nicht. Auf einem Video sieht man, was Dunja beschrieben hat. Weglaufen ist sinnlos. Der Jäger schießt.
Der vierte Mann. Ein Unbekannter. Eine Maske, größer als die der anderen. Ein Allerweltskörper. Das Einzige, was Blum mit Gewissheit sagen kann, ist, dass es nicht Schönborns Vater ist. Johannes Schönborn ist kräftiger, er wiegt vielleicht zwanzig Kilo mehr als der Mann auf dem Video. Er juchzt, wenn er abdrückt, er jodelt, er singt. Was Blum sieht, verstört sie. Es ist der Auftritt eines Verrückten. Ein halbnackter Mann, der in Siegerpose durch den mit Plüsch und Samt tapezierten Fickraum tanzt. Der Jäger freut sich über seinen Abschuss, er freut sich am Leben. Lautstark singt er eines der berühmtesten Lieder der Welt, O sole mio. Es gibt keine Sonne, die schöner ist als du . Youn liegt am Boden. Der Jäger schmettert das Lied in den Raum. Ma n’atu sole cchiù bello, oi nè . Mit Inbrunst und Leidenschaft, beinahe schön. Wie er es singt. Wäre da kein Bild gewesen, nur seine Stimme, Blum hätte es gemocht. O sole mio . Während er Youn vergewaltigt.
Der Jäger. Wie er in die Kamera singt. Er posiert, es ist ein Privatauftritt für den Koch. Ein kleines Video, das Blum verrät, was sie wissen muss. Einen kleinen Augenblick lang sein Gesicht. Damit hat sie nicht gerechnet, dass er selbst das Geheimnis lüften würde, dass er seine Maske für zwei Sekunden abnehmen würde. Kurz, bevor das Video zu Ende ist. Seine Augen, die Nase, er grinst in die Kamera, er krönt seinen Auftritt mit einem Lächeln. Zwei Sekunden lang, dann setzt er die Maske wieder auf. Zwei Sekunden lang der Vergewaltiger, der Mörder. Der Beweis für seine Schuld. Blum spult zurück, sie schaut es sich wieder und wieder an, sie drückt auf Stopp. Sie hält das Bild an.
Nur sein Gesicht und dieses Lächeln auf dem Bildschirm. Ein Lächeln, das sie kennt. Ein Gesicht, das sie schon gesehen hat. Sie ist sich hundertprozentig sicher, sie kennt ihn. Ihr fällt nicht ein, woher, aber sie ist sich sicher. Es gibt einen Namen zu diesem Gesicht. Ein Schauspieler, ein Serienheld. Blum hat ihn beim Zappen gesehen. Heile Welt in den Bergen, schöne Landschaften und Liebe. Niemand wäre jemals im Leben darauf gekommen, dass er ein zweites Leben führt. Der Jäger.
Blum jubelt. Sie hat damit gerechnet, die ganze Wohnung auf den Kopf stellen zu müssen. Sie hat damit gerechnet, zu wühlen, umzugraben, sie wollte den Tag damit verbringen. Doch nach einer Stunde ist sie wieder auf der Straße. Sie hat gefunden, wonach sie gesucht hat. Die Videos auf
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