Totengeld (German Edition)
Fels, derAugenblicke zuvor noch über dem Friedhof gehangen hatte. Ein Fels, der mich begrub wie denToten, den wir eben hatten wiederauferstehen lassen.
Denk nach.
Ich zwang mich zur R uhe. Zum entspannten Atmen. Zwang die sperrigeWeste, sich zu heben und zu senken.
Ein.Aus. Ein.Aus.
Ich versuchte zu schreien, aber mein Mund war zu trocken. Ich sammelte so viel Speichel, wie ich konnte, und versuchte es noch einmal.
Meine Stimme klang tonlos, gedämpft. Und wo war oben? Unten? Schrie ich in den Himmel oder in die Erde?
Meine Gedanken wurden wieder wirr. Sauerstoffmangel? Oder ein Übermaß an Kohlendioxid? Früher wusste ich dieAntwort auf diese Frage. Jetzt hatte ich keineAhnung.
Fragen tauchten auf.
Eine Mörsergranate? Eine Boden-Boden-Rakete? Von wem abgefeuert?
Was machte das schon aus?
Waren Blanton undWelsted ebenfalls verschüttet? Die beiden jungen Grabhelfer?
Ich schloss dieAugen. Hörte nur das leise Zischen von Sand, das durch Risse rieselte.
Warum suchte niemand mit einer Sonde nach mir? Grub? Rief? Hatten die Dorfbewohner uns im Stich gelassen? Damit unsere Leute uns herausholten oder auch nicht?
Woran würde ich sterben? Unterkühlung? Ersticken?Wie lange würde es dauern?
Der Gedanke an denTod erfüllte mich mit einer schrecklichenTraurigkeit.An diesem Ort, so weit weg von zu Hause, von den Menschen, die ich liebte. Katy. Harry. Pete. Ryan. Ja, Ryan.
EineTräne rollte seitlich über meineWange und tropfte mir auf die Hand.
Mein benebeltes Hirn schaffte eine Schlussfolgerung.
Tropfte. Schwerkraft. Ich lag auf meiner rechten Seite. Die Erde war irgendwo darunter. Geröll, Fels und Himmel waren irgendwo über meiner linken Schulter.
Ich atmete ein und tastete, wie weit meine linke Hand sich nach oben bewegen ließ.
Meine Finger strichen über kleine Oberflächen, doch Schwerkraft und Druck hielten die Einzelteile zusammen. Eine Störung des Kräftegleichgewichts konnte etwas ins R utschen bringen, dazu führen, dass noch mehr Geröll auf mich herunterstürzte.
Wie viel Luft hatte ich? Die Felsen waren porös und höchstwahrscheinlich nicht so stark komprimiert, dass sie den Sauerstoff völlig ausschlossen.Aber wie tief lag ich vergraben?Wann würde Hilfe eintreffen? Um eine Überlebende oder eine Leiche zu finden?
Dann dachte ich nichts mehr.
Ich wachte auf. Hörte Geräusche.Wässerig, undeutlich.
Stimmen?
Ich erstarrte.
Ja. Menschliche Stimmen. Hoch und erregt.
Verzweifelt, euphorisch bewegte ich meine Hand so, dass sie den äußerstenWinkel des kleinen Hohlraums vor meinem Gesicht erreichte. Meine Finger schlossen sich um einen etwa faustgroßen Stein. Mit rasendem Herzen bewegte ich ihn in dem kleinen Bogen, den der Hohlraum erlaubte, und versuchte, gegen den Fels über meinem Kopf zu schlagen.
Wie ging der Morsecode für SOS?
Mein Gott.Wen interessierte das?
Mit erbärmlich kleinen Schlägen pochte ich, wollte verzweifelt einen Kontakt mit derAußenwelt herstellen.
Das Geschrei wurde intensiver. Kam näher. Ich hörte knappe Befehle. Antworten. Knirschen. Dumpfe Schläge.
»Vorsicht!«, bellte ich. Oder flüsterte. »Ich bin okay, aber bitteVorsicht.«
Das Knirschen ging weiter.Trennte sich in Geräusche einzelner Steine, die bewegt wurden.
Nach einer Ewigkeit, wie es mir vorkam, durchstach ein einzelner Lichtstrahl die Dunkelheit. Noch mehr Knirschen, dann kamen helle Nadeln aus allen Richtungen, ein Kaleidoskop funkelnden Staubs in der Luft um mich herum.
Schließlich wurde ein Felsbrocken angehoben, und grelles, wunderbares Sonnenlicht strömte herein. Geblendet blinzelte ich nach oben.
Blantons Gesicht hing über mir, die Haut so rot wie gekochter Schinken.
»Halten Sie still.Wir holen Sie sofort raus.«
Ich konnte nur lächeln.
Drei Stunden später waren wir auf der R ückfahrt nach Delaram.Aqsaee und Rasekh lagen in Leichensäcken hinten im Fahrzeug.
Beim Einschlag der Mörsergranate waren beide Marines hinter dem Humvee positioniert gewesen.Welsted ebenfalls. Bis auf ein paar Kratzer von herumfliegenden Splittern waren alle drei unverletzt geblieben.
Ironie des Schicksals. Blantons Gier nach Nikotin hatte ihn gerettet. Er hatte ebenfalls außerhalb der Einschlagzone gestanden. Die Grabhelfer, trotz ihrer Jugend schon kriegserfahren, hatten das heranrasende Geschoss gehört, begriffen und die Beine in die Hand genommen.
Mit anderenWorten, ich war die Einzige, die blöd genug gewesen war, um etwas abzubekommen. In kniender Haltung zu langsam oder zu
Weitere Kostenlose Bücher