Totenhauch
ist?«
»Noch eine Maueröffnung.« Er leuchtete mit der Taschenlampe auf den unteren Teil der Wand zu unserer Rechten. Einige Ziegelsteine waren herausgenommen worden, sodass ein Loch entstanden war, groß genug, dass man hindurchkriechen konnte. Er kniete sich davor und leuchtete mit der Taschenlampe hinein.
»Noch ein Tunnel?« Meine Frage hallte von den Wänden wider und dröhnte mir in den Ohren.
»Sieht so aus.« Er hielt inne und untersuchte weiter die Finsternis. »Ich rieche Schimmel und Fäulnis. Dieser Teil hier ist alt.«
»Was meinen Sie, wozu er ursprünglich genutzt wurde?« Ich stand in der Dunkelheit und schlang die Arme um den Körper. Die Luft war kalt und feucht. Wie die Berührung eines Totengeistes. »Es muss Jahre gedauert haben, diese Tunnel zu graben.«
»Vielleicht war hier eine alte Plantage, bevor der Friedhof errichtet wurde. Das hier könnte ein Teil der Kellergewölbe gewesen sein. Manchmal haben sie die Sklavenquartiere unter die Erde verlegt.«
Sklavenquartiere. Vielleicht erklärte das, warum ein Schatten über Oak Grove lag.
Ich hob den Blick. Da oben musste inzwischen die Dämmerung angebrochen sein.
»Würden diese Gänge bei Hochwasser nicht überschwemmt?«, fragte ich.
»Das ist wahrscheinlich der Grund für den ganzen Schimmel und den Schleim.«
Nervös blickte ich mich um. »Was meinen Sie, wie er das hier gefunden hat?«
»Alte Archive, Grundbucheinträge. Vielleicht ist er aber auch genauso zufällig darauf gestoßen wie wir.«
»Wir sagen immer er .«
»Die meisten Gewalttäter sind Männer.« Devlin richtete sich auf. Ich zeigte mit dem Kinn in Richtung der Maueröffnung. »Klettern wir jetzt da hinein?«
»Nein. Ich denke, wir sollten im ursprünglichen Tunnel bleiben. Umkehren können wir immer noch. Gehen wir einfach weiter.«
Wir marschierten wieder los.
»Dieser Ort hier erinnert mich an einen Traum, den ich als Kind immer wieder hatte«, sagte ich und passte mich hinter ihm an seinen Schritt an. Ich versuchte, nicht weiter zu denken, als der Strahl der Taschenlampe leuchtete. »Ein grauenvollerTraum war das. So traumatisch, dass man meinen könnte, ich hätte mich wirklich in irgendeinem Tunnel oder in einem Höhlengewölbe verirrt, aber wo ich aufgewachsen bin, gab es so was nicht.«
»Vielleicht stand der Tunnel für eine andere Art von Trauma.«
»Vielleicht. An einem Ende konnte ich einen schwachen Lichtschein erkennen, und am anderen Ende nichts als Dunkelheit. Zuerst ging ich immer auf das Licht zu, aber dann hat mich irgendetwas dazu gebracht, umzukehren, also bin ich auf die Finsternis zugegangen, doch dann wurde ich wieder in Richtung des Lichts gezogen. So ging das immer weiter. Ein paar Schritte in die eine Richtung, umdrehen, ein paar Schritte in die andere Richtung. Es war das grauenvollste Tauziehen, das Sie sich vorstellen können.«
»Waren Sie allein?«
»Ja. Das heißt … ab und zu hörte ich die Stimme einer Frau. Sie hat irgendetwas geflüstert. Ich habe nicht verstanden, was sie sagte, aber ich habe immer gelauscht und gehofft, dass sie mir sagen würde, wohin ich gehen sollte, aber das hat sie nicht getan. Und wenn ich zu lange an einer Stelle stehengeblieben bin, kamen Hände aus den Wänden.«
»Hände?«
Ich erschauerte. »Dutzende. Bleiche Hände, die nach etwas greifen wollten. Ich wusste, wenn sie es schaffen würden, mich zu packen, dann würden sie mich hinunterziehen an irgendeinen dunklen Ort, der noch viel entsetzlicher war als das, was mich jeweils am Ende des Tunnels erwartete. Also ging ich weiter. Ein paar Schritte in Richtung Licht. Umdrehen. Ein paar Schritte in Richtung Dunkel.«
»Haben Sie es nie bis ans Ende geschafft?«
»Nein, nie. Ich bin mit dem entsetzlichen Gefühl aufgewacht, dass ich mich verirrt hatte und nicht wusste, wo ich war oder wo ich hingehörte.«
»Hört sich an wie ein Nahtoderlebnis«, meinte Devlin. »Ich glaube zwar nicht an solchen Kram, aber so wie Sie Ihren Traum beschreiben, hört sich das ziemlich genau so an wie das, was Leute über ein NTE erzählen. Bis auf die Hände«, fügte er hinzu. »Das ist neu.«
»Die Hände waren das Beängstigendste.«
Er schwenkte das Licht der Taschenlampe über die Wände. »Sehen Sie? Keine Hände.«
»Vielen Dank.« Ich stolperte über einen lockeren Ziegelstein und fing mich mit einer Hand an seinem Rücken ab, um nicht hinzufallen. Schnell zog ich sie wieder weg. »Haben Sie einen Albtraum, der immer wiederkommt?«
»Ja.« Er
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